Rezension

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Als wir unsterblich waren - Charlotte Roth

Als wir unsterblich waren
von Charlotte Roth

Bewertet mit 5 Sternen

1989 - Alexandra und Oliver lernen sich am Abend des 9. November am Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick und für Alexandra steht die neue Welt des Westens Kopf. 1912 - Die 16jährige Paula hat einen ganzen Sommer lang den vier Jahre älteren Clemens angehimmelt. Jetzt geht es für Clemens zum Studium und Paula weiß nicht weiter. Da trifft es sich gut, dass Clemens und Paulas Bruder gemeinsam bei den Sozis eingetreten sind und Paula so vielleicht doch noch die Gelegenheit erhält Clemens wiederzusehen.

1989 - Alexandra und Oliver lernen sich am Abend des 9. November am Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick und für Alexandra steht die neue Welt des Westens Kopf.
1912 - Die 16jährige Paula hat einen ganzen Sommer lang den vier Jahre älteren Clemens angehimmelt. Jetzt geht es für Clemens zum Studium und Paula weiß nicht weiter. Da trifft es sich gut, dass Clemens und Paulas Bruder gemeinsam bei den Sozis eingetreten sind und Paula so vielleicht doch noch die Gelegenheit erhält Clemens wiederzusehen.

„Ich wünsche mir, dass du dich im nächsten Jahr wieder hier mit mir triffst. Im Strandbad. Einerlei was wird.“
Paula Thomas wünscht sich nicht viel in den unruhigen Zeiten zum Ende des Kaiserreichs. Immer wieder im Laufe der Jahre erneuert sich dieses Versprechen. Der Treffpunkt im Strandbad am Wannsee, das ist der Ort an dem Paula Clemens kennenlernt, den besten Freund ihres Bruders, den Weltverbesserer, den Redenschwinger, der für die Freiheit des Volkes und die Errichtung der Republik kämpft. Paula verliebt sich in ihn und mit der Nachricht vom Anschlag auf den Kronprinzen von Österreich und der Erkenntnis, dass der deutsche Kaiser sein Volk nun in den Krieg schicken wird, erkennt auch Clemens, dass er ohne Paula nicht leben kann. Durch die Katastrophe des ersten Weltkrieges bleibt die Liebe von Paula und Clemens bestehen. Sie begleiten die noch junge Republik durch ihre Anfangsschwierigkeiten. Sie erfahren die vom Konflikt gespaltenen Parteien SPD und KPD, die statt gemeinsam Front gegen Rechts zu machen sich lieber untereinander bekriegen, am eigenen Leib mit. Und sie erleben die unaufhaltsame Fahrt der Weimarer Republik in die Hölle, die in den 1930er Jahren mit dem Sieg der Nationalsozialisten auf die Menschen wartet.
Am 9. November 1989 ist es Alexandra, die sich mit ihrer Freundin Meike auf den Weg macht, um die wahnsinnigste Nacht ihrer eigenen Geschichte nicht zu verpassen. Am Grenzübergang fällt sie unverhofft Oliver in die Arme, zu dem sie vom ersten Augenblick an eine Liebe verspürt, die kein Ende kennt. Und auch Oliver beschließt sein Leben nicht ohne Alexandra weiterleben zu wollen. Doch als sie ihre neue Liebe ihrer Großmutter vorstellen will, mit der sie bis dahin allein in einer Mietswohnung gelebt hat, brechen alte Wunden auf von einer Familiengeschichte, die in dem unaussprechlichen Grauen des Nationalsozialismus eigentlich ihre Ende gefunden hatte.

Charlotte Roth arbeitet mit dem Roman einen Teil ihrer Familiengeschichte auf und führt so ein in die verrückte Welt der 1920er Jahre, die als die Goldenen Zwanziger in die Geschichte eingehen sollte. Der Roman wühlt auf und lässt erinnern an die Kämpfe der Republik ums nackte Überleben. Und auch wenn man den Ausgang der Geschichte bereits kennt, hofft mit jeder Faser auf das Aufhalten des Unausweichlichen, auf einen anderen Fortgang der leider schon festgeschriebenen Ereignisse. Charlotte Roth gelingt es mit ihrer Protagonistin die Zeit wiederauferstehen zu lassen und macht deutlich, dass mit dem Fall der Mauer 1989 auch die Mauer des Schweigens einbrach, die so viele Familien vor der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte abgehalten hatte.
Dabei beweist die Autorin außerordentliches Geschick, wenn sie die Geschichte von den Anfängen des 20. Jahrhunderts mit der Gegenwart des frisch geeinten Deutschlands am Ausgang des Jahrhunderts verbindet. Die Ereignisse der Geschichte sind nicht nur Verpackung und Rahmen der Liebesgeschichte, sondern eng mit dem Handlungsfaden verwoben. „Wenn dein Haus über dir zusammenstürzt, hörst du es vorher in den Wänden knacken. Das Knacken sollte Warnung genug sein, aber kein Mensch hört darauf“, ist der Satz der Paula Thomas durch die Zeit begleitet und der sie nach all dem ihr Widerfahrenen auch ihrer Enkelin Alexandra Liebermann zu vermitteln sucht.

Der Roman von Charlotte Roth ist mir unglaublich nah gegangen. Die Geschichte einer Liebe und die Geschichte unserer Landes so eng miteinander verknüpft, haben in mir das Interesse an meine Vergangenheit gerührt. Die Figuren im Roman haben mich überzeugt und ihr Ende mich tief bewegt. Der Roman ist gut recherchiert, orientiert sich am historisch Belegten und ist facettenreich angelegt. Allerdings hätte ich ohne vorablesen.de wohl nicht zu dem Buch gefunden, da ich das Cover mit dem Foto der jungen Frau wenig ansprechend finde. Und ein kleiner Wermutstropfen für eine Feministin wie mich ist, dass die Geschichte um die Rechte der Frau insbesondere das 1919 erlangte Wahlrecht leider wenig Behandlung findet. Dennoch fünf Sterne erhalten bei mir Bücher, die mit Sicherheit noch einmal in die Hand genommen werden. Und das wird mit diesem Roman in jedem Fall passieren. Prädikat: sehr gut.