Rezension

Das beste Buch zum Zweiten Weltkrieg

Iwans Krieg - Catherine Merridale

Iwans Krieg
von Catherine Merridale

1945 ist Europa befreit und das Nazireich liegt in Trümmern - die Hauptverantwortung für diese große Tat liegt bei der sowjetischen Roten Armee. Über Jahrzehnte wurden die sowjetischen Soldaten entweder, von der westlichen Propaganda, verteufelt oder, von der stalinistischen Propaganda, glorifiziert und missbraucht. Die britische Historikerin Catherine Merridale beleuchtet mit "Iwans Krieg" den 2. Weltkrieg aus der Sicht der einfachen Rotarmisten, ihr Leiden, ihr Sterben, ihre Hoffnung, ihren Idealismus und setzt ihnen dadurch ein Denkmal.

Im Mittelpunkt von Merridales Betrachtung steht der Kriegsalltag des einfachen sowjetischen Soldaten, sowohl im Westen, wie auch in der Sowjetunion "Iwan" genannt. Thematisiert werden die ungeheuren Belastungen, denen die Rotarmisten ausgesetzt waren - das extreme Klima, die unzureichende Ausrüstung und Bewaffnung, der scheinbar übermächtige Feind, der mit menschenverachtender Grausamkeit vorging, der alltägliche Tod von Kampfgenossen, die Angst vor dem eigenen Sterben. Aber auch die Hoffnung und der, teils grenzenlose, Idealismus werden geschildert. Merridale zeigt auch den Aufbau und die Entwicklung der Roten Armee, den Einfluss des politischen Systems und den gesellschaftlichen Wandel, der die Rote Armee tief prägte. 

Merridale kommt aus ihrer Beschäftigung mit mannigfachen Quellen zu einem wichtigen, mMn richtigen, Schluss: Die Schlacht um Stalingrad war tatsächlich kriegsentscheidend, da der sowjetische Sieg die Moral der Rotarmisten, die bei einer Niederlage, so Merridale, wohl endgültig zerstört worden wäre, rettete und Motivation und Siegesgewissheit zurückbrachte, welche die Rote Armee dann bis nach Berliun "trugen". Auch die, in der westlichen (insbesonderen westdeutschen) Propaganda exzessiv ausgeschlachtete, sexuelle Gewalt, die von den Rotarmisten beim Vorstoss auf das Deutsche Reich ausgeübt wurde, wird keinesfalls tabuisiert, wenn auch Merridale mMn dabei zu keiner schlüssigen Erklärung kommt (kommen kann). Überzeugend hingegen Merridales Erklärungsansatz der, von den Rotarmisten ausgeübten, Plünderungen auf deutschem Boden. Auch die unmittelbare Zeit nach Ende des Krieges gegen Nazideutschland wird thematisiert. Das Ausrücken zu weiteren Kampfschauplätzen oder aber die Heimkehr, die meist mit Entfremdung und Orientierungslosigkeit einherging; wie auch der Missbrauch der "heldenhaften" Rotarmisten durch Stalin.

Besonders beeindruckend empfand ich den, von Merridale überzeugend dargestellten, Idealismus vieler (nicht aller) Rotarmisten. Einige Bauern verkauften alles was sie noch hatten (und das war schon nicht viel), um sich, privat, einen Panzer zu kaufen und sich so der Armee anschliessen zu können. Mein ganz persönlicher Höhepunkt des Buches war, dass Catherine Merridale als erste, mir bekannte, Historikerin den Mut hat, von einem "Holocaust" (die unglückliche Wahl des Begriffs sei ihr verziehen - "Holocaust" heißt in etwa "Blutopfer", während der hebräische Begriff "Shoah" Katastrophe bedeutet und viel passender ist) gegenüber den sowjetischen Soldaten zu sprechen. Dies ist, betrachtet man den deutschen Vernichtungskrieg im Osten, einfach nur richtig. Das Buch "Iwans Krieg" ist, in allen Belangen, ein großes, ein wichtiges Buch. Alle heute in Europa lebenden Menschen, haben "Iwan" so unendlich viel zu verdanken. Dank Catherine Merridale kann man nun endlich auch lesen, wie eben dieser "Iwan" den Krieg erlebt hat und welche Opfer er bringen musste - und das alles ganz ohne ideologische, antikommunistische oder verherrlichende, Scheuklappen. 

Fazit: Ein großes Historienwerk.