Rezension

»… das Böse ist immer und überall« – spannende Unterhaltung

Freedom's Child
von Jax Miller

Bewertet mit 3.5 Sternen

Der Showdown hat Westerncharakter: Das Böse unterschiedlicher Couleur versammelt sich praktischerweise plötzlich, und in höchster Not taucht – gleichsam – wie aus dem Nichts der junge James Stewart mit seiner Winchester (oder mit was auch immer) auf und schafft die Voraussetzung dafür, dass – Schnitt – Udo Lindenberg (wieder nur gleichsam) singen kann: Hinterm Horizont geht's weiter, ein neuer Tag …, während Jürgen Marcus seinen Erfolgstitel von 1972 summt.

Die Titeltigur, Freedom Oliver, zuvor – bevor sie in ein Zeugenschutzprogramm kam – Nessa Delaney, ist interessant: Verzweiflung, Alkohol und Betäubung, Todessehnsucht, aber auch Lebenswille um ihrer Kinder willen (die sie nicht kennen), die Maxime, sich nicht mehr zum Opfer machen zu lassen (mit »Mein Name ist Freedom …« beginnen alle Abschnitte, in denen aus ihrer Sicht erzählt wird), eine Mischung von Distanzierung und dem Wunsch nach Nähe gegenüber anderen sind Kennzeichen dieser Gestalt. Freedom ist nicht amoralisch, aber bis zu einem gewissen Grad außermoralisch: Sie handelt, wie sie es aus ihrem Erleben heraus als notwendig empfindet.

Das Böse tritt – in Gestalt zweier Gruppen – sehr geballt auf. Da bleibt dem Leser und der Leserin keine Möglichkeit zur Sympathie mehr; vielleicht sind die »Bösen« in diesem Roman schon etwas klischeehaft böse. Eine psychologische Durchleuchtung dieser Figuren finde ich nicht. Vor allem bei einer Figur, die verbrecherisch-böse-verwerfliches Verhalten in höchster Konzentration mit einem Selbstbild von Gutsein und moralischem Auftrag verbindet, fehlt mir der Blick darauf, wie sie das schaffen kann.

Bezüglich der Erzähltechnik wird in den meisten Abschnitten aus der Perspektive Freedoms erzählt, in anderen stehen – in weitgehend auktorialer Erzählweise – andere Personen im Mittelpunkt. Spannung erzeugt die Autorin etwa, indem Zusammenhänge, die später deutlich werden, zunächst nur angedeutet werden und rätselhaft bleiben. Die Handlung rückt an die Leser heran, indem überwiegend das Präsens gebraucht wird.

Ich habe diesen Roman gerne gelesen, er ist spannende Unterhaltung. Das Buch »Letztes Lied einer vergangenen Welt« von Anthony Marra habe ich dafür unterbrochen. Während bei Jax Miller die Handlung vorbeirauscht, erstehen bei Marra Menschen, die beim Leser Eindruck hinterlassen, bestehen bleiben, in den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie leben. Miller ist gute Unterhaltung, Marra gute Literatur.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 09. Juli 2016 um 14:04

"Miller ist gute Unterhaltung, Marra gute Literatur." Starker Satz! Der direkte Vergleich bringt es an  den Tag! Dafür gibt es sicherlich auch einen Song ;-).