Rezension

Das Buch hat mich weder berührt noch unterhalten, sondern müde angegähnt.

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry - Rachel Joyce

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry, 6 Audio-CDs
von Rachel Joyce

Harold Fry will nur kurz einen Brief einwerfen an seine frühere Kollegin Queenie Hennessy, die im Sterben liegt. Doch dann läuft er am Briefkasten vorbei und auch am Postamt, aus der Stadt hinaus und immer weiter, 87 Tage, 1000 Kilometer. Zu Fuß von Südengland bis an die schottische Grenze zu Queenies Hospiz. Eine Reise, die er jeden Tag neu beginnen muss. Für Queenie. Für seine Frau Maureen. Für seinen Sohn David. Für sich selbst.

Für mich war von vornherein klar, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder Rachel Joyce überzeugt mich mit einer Geschichte voller Gefühl, ungeahnten Tiefen und spannenden Figuren, die Harold Fry auf seinem Weg trifft, oder das Buch ist einfach nur langweilig. Obwohl ich auf den ersten 75 Seiten noch die Freude an der Idee des Rentners teilte und die Worte nur so aufsog, folgte dann plötzlich die Ernüchterung, es wurde immer zäher und für mich wurde es auch immer schwieriger weiterzulesen, weil sich alles wiederholte. Ich brauchte, genau wie Harold auf seiner Reise, in immer kürzeren Abständen immer längere Erholungspausen von dem Buch. Denn nicht nur er hat eine lange Strecke zurückzulegen, auch der Leser hat einige Längen zu überbrücken.

Viel passiert während der Pilgerreise nicht; es entsteht nicht ein einziges Mal der Eindruck, er würde nicht an seinem Ziel ankommen. Harold läuft und läuft und erzählt den Leuten, die er trifft, immer wieder etwas aus seiner Vergangenheit, häufig dasselbe: Mal spricht er von Queenie, mit der er seit 20 Jahren nicht mehr gesprochen hat, nachdem sie plötzlich gekündigt wurde und nach Berwick upon Tweed zog. Mal spricht er von den Beziehungsproblemen mit seiner Frau, über die Kälte, die zwischen den beiden herrscht und darüber, dass er seinem Sohn kein guter Vater war und ihm gerne näher gewesen wäre.

Die Autorin kratzt annähernd über die gesamte Erzählstrecke hinweg nur an der Oberfläche, ließ mich nicht hinein. Die Probleme, die Harold Fry vor sich herschiebt, werden immer wieder angesprochen, ohne dass man erfährt was genau vorgefallen ist. Mir fiel es äußerst schwer mich in Harold Fry hineinzufühlen. Die Belohnung kurz vor Schluss zu erfahren, was zum Buch mit seiner Familie geführt hat und welche Rolle Queenie dabei spielte, ist leider nur ein Wermutstropfen und einfach nicht genug, schon gar nicht für ein ganzes Buch.

Auch wenn Rachel Joyce in dem einen oder anderen Absatz einen nachdenklichen Gedanken hat einfließen lassen, haben ihre Worte mich einfach nicht erreicht. Mir fehlte nicht nur die Tiefe, sondern auch die Sympathie für den Mittsechziger. Das Buch hat mich weder berührt noch unterhalten, sondern leider nur müde angegähnt. Ich habe durchgehalten bis zum Ende und bin froh, dass ich dort endlich angekommen bin.