Rezension

Das Diktat der Chicagoer Schule,

Die Schock-Strategie
von Naomi Klein

Bewertet mit 4.5 Sternen

...oder die Frage: Liest keiner mehr das Kleingedruckte im Vertrag?

Mit über zehn Jahren Verspätung, habe ich mir nun endlich die Schock-Strategie von Naomi Klein vorgenommen. Von "No Logo!" vor fast 20 Jahren alamiert, hätte ich Klein besser im Focus behalten sollen, aber so war es nun ein gnädiger Zufall, der mir dieses Buch über den Katastrophen-Kapitalismus auf dem Flohmarkttisch wieder in Erinnerung rief und die 20 für 2020 Challenge, die den nötigen Kick zum Lesen gab.

Die Kolumnistin für The Nation und The Guardian startet ihre Rundreise um die Welt in den Versuchslabors der CIA. Dort wurde in den 1970ern Jahren und mit der Zusammenarbeit Ewen Camerons getestet, inwieweit Elektroschocks die Persönlichkeit eines Menschen brechen, um dann auf einem quasi ausradierten Blatt, die eigenen Vorstellungen menschlichen Verhaltens neu niedergeschrieben werden kann. Was auch in Kombination mit harten Drogen keine positiven Ergebnisse brachte, wurde trotzdem als Strategie weitergedacht und in ihrer Sinnverwandtschaft auf ganze Länder übertragen.

Nun waren die Schocks, die man den Ländern angedieh, nicht mehr aus Strom, sondern vielmehr aus Revolution und Krieg gemacht. Die Strategen aus der Chicagoer Schule rund um Milton Friedmann schwärmten in die revolutionsgeschwächten Länder und flüsterten den neuen und noch orientierungslosen Regierungen ihre Überzeugung vom Neuen Liberalismus ein. Sie hatten auch gleich die passenden Druckmittel, Kredite und Experten, im Gepäck. Südamerika beherbergte die Länder der ersten Patienten, die auch gleich Anschauungsmaterial für Verbesserungen boten.

Mit einem Satz über den Atlantik ging es dann in Europa (Polen mit Lech Walesa und sein Aufstand in Gdansk) weiter, über Russland, China und Afrika, in den Nahen Osten. Wer all diese Ereignisse und Wandlungen der Länder unabhängig voneinander sah, übersah dabei die immer gleichen Protagonisten, die von Land zu Land eilten und ihre Finger im Spiel hatten. Wo immer sich gerade die Gelegenheit bot, versuchten sie den staatlichen Einfluss abzubauen und Platz für freie Märkte zu schaffen.

Milton Friedmann bekam 1976 sogar den Friedensnobelpreis für sein Engagement in den krisengeschüttelten Ländern, ohne die Auswirkungen seiner neoliberalen Lehre zu hinterfragen.

Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden auch die USA mit entsprechenden "Behandlungen" bedacht, der Staat im Namen der Terrorbekämfung ausgehöhlt und viele sensible Bereiche in der Verteidigung der Privatwirtschaft überlassen. Die Gewinner dieser Vorgehensweise waren die Rüstungs- und Homeland-Security-Firmen, die Verlierer waren und sind all jene, die völlig rechtlos in gesetzesfreie Zonen (Guantanamo, Abu Ghraib) verschleppt und dort gefoltert wurden und werden.

Im neuen Jahrtausend dann, änderten sich die Ursachen für Schocks. Naturkatastrophen übernahmen nun die Vorarbeiten für tiefgreifende Strukturwandel. Am Beispiel des Tsunamis von 2004 zeigt Naomi Klein auf, wie Hilfsgelder an Bedingungen geknüpft, oder in Richtungen gelenkt wurden, die nur wenigen, bestimmten Menschen von Nutzen waren. Die Armen und Hilfebedürftigen wurden schlichtweg verdrängt und vergessen.

Im Schlusskapitel "Der Schock nutzt sich ab" zählt die Autorin dann aber auch ein paar Länder auf, die sich inzwischen gegen die Diktatur des IWF und der Weltbank wehren, dazugelernt und eigene Strategien entwickelt haben, sich selbst beim Schopf zu packen und aus dem Sumpf zu ziehen.

Naomi Klein konnte mich mal wieder vollständig in ihren Bann ziehen, mein kriegerisches Herz wiederbeleben, die Vergangenheit in einem erhellenden Licht revuepassieren lassen. Eine Recherche ergab, dass sie 2017 ein Buch über Trump herausgebracht hat. Vielleicht sollte ich diesesmal nicht so lange mit dem Lesen warten.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 09. Februar 2020 um 08:36

Solltest du nicht. Mach mal. Ich will deine Rezi dazu lesen.