Rezension

"Das Flüstern der Geschichte"

Der Lärm der Zeit - Julian Barnes

Der Lärm der Zeit
von Julian Barnes

 

„Kunst ist das Flüstern der Geschichte, das durch den Lärm der Zeit zu hören ist.“ So lautet  Dmitri Schostakowitschs Definition von Kunst und seiner Musik, die sich immer wieder durch Julian Barnes´ biografisches Buch zieht.

Die drei Abschnitte, in die der Autor seinen Roman unterteilt, stellen Phasen aus Schostakowitschs Leben dar, das er selbst einteilt „in Zwölfjahreszyklen des Unheils“ , die ausgerechnet in Schaltjahren stattfinden. Während in der Stalinära Angst und Terror herrschen,  fällt Schostakowitsch im Jahr 1936 auf lebensbedrohliche Weise in Ungnade. Seither lebt er in ständiger Todesangst, von Stalins Schergen abgeholt zu werden; denn der Tyrann und „die, die Angst auslösten … wussten, dass sie funktioniert, sogar wie sie funktioniert…“  Mit gepacktem Koffer wartet er monatelang  Nacht für Nacht vor dem Aufzug im Treppenhaus auf seine drohende Verhaftung, um der Demütigung zu entgehen, von Stalins Genossen aus dem Bett gezerrt zu werden.

Im Jahr 1948 wird er von Stalin höchstpersönlich mit einer Delegation zum Kongress für den Weltfrieden nach New York geschickt, ein Unternehmen, das für ihn mit tiefer Demütigung endet.

Und auch nach Stalins Tod in der Sowjetunion der 60er Jahre ist er nicht sicher vor Repressalien; die Mechanismen der Macht sind feiner geworden, aber sie greifen und der Komponist verliert auch noch seine Selbstachtung, als er gegen seinen Willen zu einem Teil des Staatsapparates wird. Aber wie verachtenswert ist es, sein Leben retten zu wollen? Wie reagieren Menschen, wenn sie die (negative) Aufmerksamkeit der Macht erregen? Eine Frage, die in jeder Zeit aktuell ist.

In Episoden, beinahe anekdotenhaft, erzählt Barnes aus Schostakowitschs Leben und versetzt den Leser in das Denken und Fühlen des Komponisten. Der Leser taucht in das Wesen des Mannes ein, dessen einziger Wunsch es war, sein Dasein in Ruhe zu verbringen und sich seinen Kompositionen zu widmen  und der dennoch so sehr unter Zensur und Staatswillkür zu leiden hatte. Barnes´ Sprache ist knapp, klar und schlicht und bringt so seine  Botschaft deutlich zum Ausdruck. Er will keineswegs Moral predigen oder über den Komponisten urteilen.

Nach eigener Aussage hat Schostakowitsch einen großen Teil seiner stets präsenten Furcht in seinen Kompositionen verarbeitet. „Was konnte man dem Lärm der Zeit entgegensetzen? Nur die Musik, die wir in uns tragen – die Musik unseres Seins – , die von einigen in wirkliche Musik verwandelt wird. Und die sich, wenn sie stark und wahr und rein genug ist, um den Lärm der Zeit zu übertönen, im Laufe der Jahrzehnte in das Flüstern der Geschichte verwandelt.“