Rezension

Das fünfte Rad am Wagen

Maigrets Jugendfreund - Georges Simenon

Maigrets Jugendfreund
von Georges Simenon

Bewertet mit 4 Sternen

Kommissar Maigret wird in seinem Büro von einem ehemaligen Klassenkameraden, Léon Florentin, aufgesucht, der gerade einen Mord mitbekommen hat – an seiner Geliebten, die zudem noch vier weitere Liebhaber hatte und so ihr Leben finanzierte. Florentin ist höchst verdächtig, schwört aber, seine Geliebte nicht getötet zu haben. Maigret ist unwohl in seiner Haut, er traut dem früheren Klassenclown nicht, der zu einem heruntergekommenen Betrüger wurde, aber ist auch nicht überzeugt, dass er der Mörder ist. Die anderen Herren jedoch haben ein Alibi, und außerdem gibt es da noch eine Concierge, deren Aussage Florentin belastet.

Simenon versteht es wie kein anderer, mit wenigen Strichen Pariser Atmosphäre zu schaffen und Charaktere zu zeichnen. Seine Krimis brauchen keine besonders ausgefallenen Morde und blutrünstige Psychopathen, sondern finden zur vollen Größe da, wo er die leisen Zwischentöne beobachtet und nah am Menschen dran ist. Dabei bleibt Maigret, bei aller Menschenkenntnis, immer auch ein Menschenfreund, ist fast nie ohne Verständnis für die Täter. Kurz, die Welt Simenons ist, wie die unsere, von zahllosen Grauschattierungen.

Der Fall ist durch die Gegenüberstellung der fünf unterschiedlichen Liebhaber und ihrer Motive wie gemacht für Maigrets psychologische Finesse. Nicht so gut gefallen hat mir die Schilderung der Concierge – eine hartherzige, verbitterte Frau, deren Charakterschwächen leider immer wieder über eine negative Beschreibung ihres Aussehens transportiert werden. Sie ist dick, passt nicht in das Auto, ein Monstrum, kaum vorstellbar, dass sie mal einen Mann hatte, usw. Natürlich muss man das im Kontext der Zeit sehen, aber dennoch hat es mich gestört – und Simenon hat es auch eigentlich nicht nötig. Dafür einen Punkt Abzug; ansonsten, wie jeder Maigret, ein großer Lesegenuss.