Rezension

Das Geschäft mit falschen Waisen und weißen "Rettern"

Das Gegenteil von Gut... ist gut gemeint -

Das Gegenteil von Gut... ist gut gemeint
von Daniel Rössler

Bewertet mit 4 Sternen

Acht Monate arbeitete Daniel Rössler für eine österreichische Hilfsorganisation als Projektmanager in einer ländlichen Region im Norden Ghanas. Eine seiner Aufgaben: Die Abwicklung eines Waisenhauses. Klingt vielleicht erst einmal hart, doch Rössler fand heraus: Bei den Kindern, die in dem Heim untergebracht waren, handelte es sich gar nicht um Waisenkinder. Sie hatten mindestens einen Elternteil. Und das Waisenhaus in seiner Projektregion, so hörte er damals, sei nicht das einzige dieser Art. Zwei Jahre nach seinem Projekteinsatz war Rössler wieder in Ghana - diesmal, um zu recherchieren, was es mit der implodierenden Zahl von Waisenhäusern in dem westafrikanischen Land auf sich habe.Das Ergebnis ist sein Buch "Das Gegenteil von gut....", das zwar schon vor einigen Jahren veröffentlicht wurde, aber - das zeigt ein Blick in einschlägige soziale Medien - weiterhin höchst aktuell ist.

In dem Buch geht es um das Geschäft mit der Armut um "weiße Retter" und Voluntourism, die Verbindung von ein bißchen Abenteuerurlaub mit einem Freiwilligeneinsatz - sehr beliebt bei jungen Menschen aus meist gutsituierten Verhältnissen, denn billig ist ein solcher Einsatz nicht - die Vermittlungsorganisationen lassen sich da ordentlich was zahlen. Bei manchen ist (nur) Idealismus im Spiel, bei anderen auch das Wissen, dass sich soziales Engagement und internationake Erfahrung gut im Lebenslauf machen. Und was lässt sich bei den Freunden in der Heimat, auf Instagramm und anderen sozialen Medien besser "verkaufen" als lachende und "dankbare" Waisenkinder?

Gerade die Arbeit mit Waisen ist bei den jungen Freiwilligen beliebt - dabei ist es nicht nur in Ghana so, dass traditionell Kinder ohne Eltern von Angehörigen ihrer Großfamilie aufgenommen werden. In den meisten afrikanischen Ländern waren sie unbekannt  abgesehen  von Situationen, in denen durch Krieg oder Bürgerkrieg, durch Hungerkatastrophen und ähnlichen Situatione, die die Familien- und Gesellschaftsstrukturen in hohem Maß zerstörten.. Bis die Touristen auf Wohltätigkeittour kamen, die Freiwilligen und die Menschen auf der Suche nach einem afrikanischen Adoptivkind - Madonna lässt grüßen. 

Ghana ist kein Eintelfall. Auch an der kenianischen Küste - und auch nur dort, im Touristengebiet - findet man etwa Straßenschilder, die auf Waisenhäuser hinweisen. Und in vielen Facebook-Gruppen und Internetforen fragen Erstbesucher nach Adressen für den Besuch eines Waisenhauses und was man denn so an Geschenken mitbringen sollte. 

Gut gemeint, sicher. Aber wie das Sprichwort sagt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Denn anders als Fachkräfte, die bei seriösen Hilfsorganisationen in Projekten arbeiten und Positionen füllen, für die es (noch) nicht genügend einheimische Experten gibt,  handelt es sich bei vielen der Freiwilligen um junge Leute, die gerade mit der Schule fertig sind, allenfalls Studenten. Die in ihrem Gap Year etwas erleben wollen. Von Voluntourism ist mittlerweile die Rede. Und die Organisationen, die so einen Aufenthalt etwa in Waisenhäusern organisieren, vermitteln auch ein- oder zweiwöchige Aufenthalte. Dass das nicht nachhaltig und gut für die Kinder sein kann, sollte eigentlich jedem pädagogischen Laien klar sein - zumal die Freiwilligen ja Kontakt zu den Kindern haben sollen/wollen, nicht etwa für Putz- und Küchenarbeiten ihren Einsatz "buchen". 

"Unqualifizierte weiße Jugendliche mit der Fürsorge verletzbarer afrikanischer Kleinkinder  zu betrauen, ist weder lokal gewollt noch pädagogisch legitim oder entwicklungspolitisch relevant. Es ist sogar das Gegenteil davon. ", schreibt Rössler. "Diese "Hilfe" schadet mehr als sie nützt, setzt eine gehörige Portion Überheblichkeit der "Helfer" voraus und orientiert sich in erster Linie und viel mehr an ihren Bedürfnissen als an jenen der Menschen vor Ort - und hat damit nichts mit seriöser Freiwilligenarbeit gemein" Wenn die Helfer glaubten, sie könnten vor Ort wirklich etwas bewirken - unqualifiziert, ohne sprachliche oder kulturelle Kompetenz, und das besser als Einheimische - dann  offenbare sich hier  eine "falsche Selbsteinschätzung und ein bedenkliches Maß an Überheblichkeit." 

Denn für die Freiwilligeneinsätze gelte ja: "Ein wenig Spaß machen müsste es, es sollte schöne Bilder ermöglichen und im Idealfall auch für den Lebenslauf was hermachen. Die Arbeit im nächstgelegenen Altersheim oder in der städtischen Behindertenwerkstatt eignet sich hierzu nicht besonders gut ... während diese Tätigkeiten hauptberuflichen, meist schlecht bezahlten Fachkräften überlassen bleiben, zieht es die jungen Helfer bevorzugt in exotische Gefilde."

Das Ziel der seriösen Helfer ist letztendlich, überflüssig zu werden, die Verantwortung an Menschen vor Ort weiter zu geben und sich zurückziehen zu können. Bei den Waisenhäusern in Ghana, so recherchierte Rössler, sei es ganz anders - die würden immer mehr. Angebot und Nachfrage eben, und wo es keine Waisen gibt, müssen welche "gemacht" werden. Nicht nur in seinem Projektgebiet wurden Kinder in einem Waisenhaus untergebracht, die Eltern hatten. Eltern, die von den Betreibern überredet wurden, dass es das Beste für die Kleinen sei - dass sie drei Mahlzeiten am Tag erhielten, Kleiderspenden und Geschenke, die die Helfer oder Besucher mitbrächten.

Zunächst seien die Kinder immer wieder in ihre Familien zurückgekehrt, wenn die Freiwilligen abgereist waren -  doch mehr Freiwillige, rund ums Jahr, das hieß mehr Geld für den Direktor, den Vermittler, die Organisation. Plötzlich wurde das Waisenhaus trotz eigener Familie die Normalität der Kinder.

Rössler sprach mit ghanaischen Sozialpolitikerinnen und Pädagoginnen, die darauf verwiesen, dass der ständige Abbruch von Beziehungen durch die rotierende Helferschar den Kindern und ihrer Entwicklung schadeten. Und er erkannte den Schaden auch in der Dorfgesellschaft - denn die "Waisen" wurden ihrer eigenen community entfremdet, als "white kids" gehänselt, die vielleicht Turnschuhe oder ein Handy besäßen, aber nicht mehr auf dem Feld oder mit dem Vieh arbeiten könnten oder wollten. Spätestens wenn sie mit 18 Jahren das Waisenhaus verließen, rächte sich das bitter. Denn zukunftsfähig seien diese jungen Leute dann nicht mehr in den Augen ihrer Gemeinschaft.

Das "weiße Helfer Syndrom" ist in den vergangenen Jahren zunehmend kritisiert worden, nicht zuletzt durch die "Geholfenen" Rössler stellt auch einen Zusammenhang zu kolonialem Blick auf Afrika her: "Im Business um hilfsbedürftige Schwarze und hilfeleistende Weiße spiegeln sich Zuschreibungs- und Handlungslogiken wider, die im Zuge jahrhundertelanger europäischer Vorherrschaft am afrikanischen Kontinent hervorgebracht, systematisch aufrechterhalten und global verbreitet wurden, und die von findigen Personen mit Geschäftssinn genutzt und kommerzialisiert werden."

Abgesehen von der manchmal etwas blumigen Sprache und den Stellen des Buches, in denen er sich nicht auf Fakten konzentriert sondern Ereignisse fiktionalisiert, hat Rössler meiner Meinung nach ein wichtiges Buch geschrieben - auch mit Blick auf die letztlich ausgenutzten Helfer, die es ja oft nur gut meinten.
Doch findet er damit auch Gehör? Ich fürchte, nur bei denjenigen, die seine Haltung teilen. Das Internet ist nach wie vor voll mit denjenigen, die voller Stolz das präsentieren, das eine andere Kritikerin als "MONGOS" bezeichnete (My own NGO), mit Bildern und stolzen Berichten ihrer Geschenkübergabe, mit Bildern und Verweis auf die ach so dankbaren armen Menschen, denen sie zu einem besseren Leben zu verhelfen meinen - und die dabei nur allzu oft von dem ausgehen, was sie für  richtig und nötig halten.