Rezension

Das Leben einer Frau, die ihrer Zeit voraus war

Eine Liebe, in Gedanken - Kristine Bilkau

Eine Liebe, in Gedanken
von Kristine Bilkau

Bewertet mit 5 Sternen

Mutter-Tocher-Geschichte. War das Leben der Mutter gelungen? Was sagt das Leben meiner Mutter über mich als Tochter? Kann eine unerfüllte Liebe die große Liebe des Lebens sein?

Eine Tochter löst den Haushalt ihrer verstorbenen Mutter auf. Findet Notizen und Briefe und erinnert sich an frühere Gespräche. Die Tochter lässt sich Zeit mit den Erinnerungen - und so ist es auch in diesem Buch: 

Die Autorin nimmt sich Zeit, erzählt ruhig und klar und in einer wunderschönen Sprache, behutsam und doch eindringlich. Und es werden im Endeffekt dann doch nicht so sehr viele Seiten benötigt.
Ich mag den Schreibstil von Kristine Bilkau sehr. Schon "Die Glücklichen" hatte mich damals begeistert. Und bei diesem Buch war es wieder genauso. Die Thematik war diesmal ganz anders - aber es wurde wieder (quasi nebenher) etwas über die Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit erzählt.
Diesmal sind es die 60er Jahre - vor 1968. Das Leben ist noch eng und spießig. Aber Antonia - genannt Toni - die Mutter der Erzählerin, lebt schon recht frei. Sie hat ein eigenes Zimmer zur Untermiete (leider mit der unvermeidlichen Zimmervermieterin, die Herrenbesuch natürlich verbietet) und Antonia hat große Pläne für ihr Leben. Sie sucht sich eine interessante Stelle als eine Art Chefsekretärin, bereitet Konferenzen vor und fliegt dafür sogar nach Berlin. Für die damalige Zeit eine beachtliche Karriere für eine Frau.
Und eine eigene kleine Wohnung mietet sie dann auch. Und dort verbringt sie viel Zeit mit Edgar, ihrer großen Liebe.
Doch dann  gibt Antonia das alles auf - um Edgar nach Hongkong zu folgen.
Wir wissen aus dem Klappentext, dass aus diesem Umzug nach Hongkong nichts wird.
Wir wissen jedoch nicht, warum daraus nichts wird. Und wie stark oder nicht stark diese Liebe zwischen Edgar und Antonia war. 
Die Tochter versucht, Antworten zu finden. Und sie möchte Edgar besuchen und ihn fragen, warum alles so gekommen ist.
Und die Tochter (und die Leser) fragen sich, ob Antonias Leben trotzdem gelungen ist. Trotz zwei gescheiterten Ehen und einem Kind, dass sie meist alleine großgezogen hat. 
Dies sind Fragen, die sich wahrscheinlich viele Töchter über ihre Mütter stellen. Ist die eigene Mutter doch auch immer die Frau, an der sich die Töchter messen oder von der sie sich abgrenzen möchten.
Und so erkennt die Tochter, dass ihre Mutter sich Freiheit gewünscht hat - und sie selbst sich wieder Verlässlichkeit gewünscht hat. 
Und es wird klar, dass Antonias Leben intensiv und frei war, Sie hat so gelebt hat, wie sie es wollte. Nur die große Liebe - die gab es nur in Gedanken.