Rezension

Das Leben geht weiter...

Nach Mattias
von Peter Zantingh

Bewertet mit 5 Sternen

Ein leiser Roman voller emotionaler Wucht - interessanter Aufbau, isolierte Perspektiven, Leben die weitergehen: nach Mattias. Highlight!

Amber singt bei einem Konzert gegen ihren Schmerz an; Quentin läuft Kilometer um Kilometer, um der Erinnerung zu entkommen, und Kristianne möchte die wahre Geschichte ihres Sohnes erzählen. Diese Leben und das von fünf weiteren Menschen überkreuzen sich durch Mattias’ unerwartetes Verschwinden auf schicksalhafte Weise. Wie Puzzlesteine fügen sich ihre Geschichten zu einem Abbild von Mattias und werden trotz aller Trauer zu Zeugen seiner Begeisterungsfähigkeit und seines unbeugsamen Mutes, sich dem Leben jeden Tag vorbehaltlos hinzugeben. 

Gerade einmal 240 Seiten umfasst dieser Roman des niederländischen Autors Peter Zantingh. Schnell gelesen, dachte ich im Vorfeld - und wurde eines Besseren belehrt. Neun Kapitel reihen sich hier aneinander, jedes davon geschrieben aus einer anderen Perspektive, manchmal nur wenige Seiten lang. Aber jedes Kapitel wartet mit einer enormen emotionalen Wucht auf, leise, nicht dramatisch oder theatralisch, sondern echt und authentisch. 

Menschen kommen zu Wort, die Mattias kannten - mal sehr gut, mal eher aus der Ferne, aber allen hat er auf seine Weise etwas bedeutet. Freundin, bester Freund, Großeltern, Mutter, Internetbekanntschaft, Vermieter eines Ferienhäuschens... Eine breite Palette, die deutlich macht, wie viele Kontakte man hat im Leben, und dass ein Mensch für jeden einzelnen etwas anderes bedeutet.  

Der Text wirft Spotlights auf die einzelnen Leben nach Mattias: ein kurzer Ausschnitt, Licht aus. Trotzdem erfährt man in dem kurzen Ausschitt doch so einiges über den jeweiligen Charakter. Manche Kapitel stehen fast beziehungslos hintereinander, andere bieten Übergänge, wieder andere überraschende Kleinigkeiten, die doch eine Verbindung einzelner Personen aufzeigen. Und aus alldem schält sich nebenbei allmählich ein mehrdimensionales Bild von Mattias heraus - von dem Menschen, der er einmal war.

Mir gefiel der ständige Perspektivwechsel, auch wenn die einzelnen Szenen dabei sehr für sich stehen. Aber ist es nicht auch genau das: der Tod eines Nahestehenden lässt jeden für sich alleine dastehen, jeder trauert auf seine Weise, erstarrt und muss schauen, ob und wie er aus der Erstarrung herauskommt? Diese unterschiedlichen Perspektiven machen das sehr deutlich, finde ich. Jeder hatte einen ganz anderen Bezug zu Mattias, eine andere Rolle, doch verändert sein Tod jeden einzelnen von ihnen, zwingt ihn, sich im Leben neu zu positionieren.                        

Bei aller Faszination für diesen Roman konnte ich allerdings immer nur ein Kapitel zur Zeit lesen, denn Trauer einerseits und die große Einsamkeit im Leben jedes einzelnen Charakters andererseits springt einen jedesmal geradezu an. Denn trotz der geradezu 'nüchternen' Schreibweise werden hier enorm viele Emotionen transportiert. Davon 'ertrage' ich meist nur eine wohldosierte Menge. 

Dabei gelingt es dem Autor allerdings auch, einen Spannungsbogen über den Kapiteln zu platzieren, der sich bis zum Ende durchzieht - denn die Frage, die sich der Leser bereits zu Anfang stellt und die allmählich immer drängender wird, ist: wie starb Mattias? Den Aufbau mit den unterschiedlichen Perspektiven, den überraschenden Entdeckungen von Verbindungen und Gemeinsmkeiten und besagter Fragestellung fand ich fein konzipiert und in meinen Augen bis hin zum passenden und hoffnungsvollen Ende sehr gelungen umgesetzt.

Ein wundervoll konzipierter Roman, der viele Facetten von Trauer betrachtet und doch ein großes Ganzes bildet. Ein Highlight in diesem Jahr! 

 

© Parden