Rezension

"Das Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz."

Terror - Dan Simmons

Terror
von Dan Simmons

Bewertet mit 5 Sternen

England, 1845: Die beiden modernsten Schiffe ihrer Zeit, die HMS Terror und die HMS Erebus, stechen in See. Ihr Ziel ist es, die legendäre Nordwestpassage in ost-westlicher Richtung vollständig zu durchsegeln und zu kartografieren, um so einen kürzeren Seeweg von Europa nach Asien zu finden. Das Kommando über die insgesamt 133 Teilnehmer der Expedition führt Sir John Franklin. Es ist die grausame Geschichte eines aussichtslosen Überlebenskampfes im ewigen Eis: 4 Männer kehren nach Großbritannien zurück, bevor die Schiffe das Polarmeer erreichen, alle anderen finden den Tod.

Leseeindruck

"Terror" ist ein umfangreicher, packender Roman, der auf historisch belegten Ereignissen beruht. Auf beinahe 1000 Seiten schildert Dan Simmons auf eindrucksvolle Weise den Überlebenskampf der Franklin-Expeditionsteilnehmer und fesselt den Leser dabei von der ersten bis zur letzten Seite. Obwohl der Ausgang der Historie von vornherein bekannt ist, schafft es der Autor, eine durchweg spannende Geschichte zu erzählen, die insgesamt nur minimale (aus meiner Sicht zu vernachlässigende) Längen im Mittelteil aufweist. Er gibt seinen Figuren eine Stimme, schafft so unterschiedliche Perspektiven, die für den Leser gut auseinanderzuhalten sind, da die einzelnen Kapitel mit dem Namen des gerade erzählenden Charakters betitelt sind. Erleichtert wird die Orientierung zusätzlich durch die Angabe von Zeit und Ort (Breiten-/Längengrade). Die wechselnden Blickwinkel gefallen mir außerordentlich gut, da sie einen wunderbaren Kontrast zur konstanten, unwirtlichen Umgebung bieten und zusätzliche Nähe zu den Figuren schaffen. Ein sehr bildhafter und atmosphärischer Schreibstil rundet das Ganze perfekt ab.

Ohne zu detailliert auf den Inhalt einzugehen, verrate ich sicher nicht zu viel, wenn ich schreibe, dass Simmons seinen Roman mit einer zusätzlichen mystischen Komponente versieht, indem er eine Art Monster aus dem Eis erschafft, das Jagd auf die Männer macht. Ich würde zu viel vorwegnehmen, wenn ich dies näher erläutern würde aber meines Erachtens hätte es dieses Element nicht unbedingt gebraucht, um den Leser in Schrecken zu versetzen. Die unberechenbare und brutale Bedrohung von Außen durch die Naturgewalt ist ohnehin schon groß genug. Hinzu kommt die schrittweise Verrohung der Männer mit zunehmenden Hunger und damit einhergehender Verzweilfung. Die Kommandostrukturen fallen schrittweise und auch vor Kannibalismus schrecken einige der Männer nicht zurück. Es ist wie immer in der Geschichte der Menschheit: Jeder ist sich selbst der Nächste und dieses Motto gilt, wenn auch nicht für alle, so doch für viele der Teilnehmer. Am Ende bleibt die nüchterne Erkenntnis: "Das Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz."
Für mich ein Horror, der durch Mark und Bein geht und mich mehr gepackt hat, als der Schrecken, den das Wesen verbreitet. Und trotzdem funktioniert die Bestie aus dem Eis, wenn man nicht unbedingt davon ausgeht, dass der Autor sie nur als Mittel zum Zweck des blutigen Horrors einsetzt. Das Wesen stand für mich als eine Art Symbol: Es ist nicht mit der modernen Technik (Schusswaffen) besiegbar, erst durch Akzeptanz und Demut besteht die Möglichkeit einer Art Koexistenz.

Simmons lässt viele Themen einfließen, manche auch subtil. Er nutzt die Eskimos und ihre Mythologie oft als symbolträchtiges Mittel. So weist beispielsweise eine Prophezeihung auf die Zerstörung der Natur durch den Menschen hin: "Aufgrund ihrer Zukunftsgedanken wussten die silam inua, dasss das Ende der zeiten heranbrechen wird, wenn die blassen menschen, die kabloona, einst das Reich des Tuunbaq betreten. Vergiftet von den bleichen Seelen der kabloona, wird der Tuunbaq erkranken und sterben. ...Wenn der Tuunbaq an der kabloona-Krankheit stirbt, das wussten die Geisherrscher des Himmels, dann wird sich sein kaltes, weißes Reich erwärmen und auftauen. Die Eisbären werden ihre Heimat verlieren und ihre Jungen zugrunde gehen. Die Wale und Walrosse werden keine Nahrung mehr finden. Die Vögel werden in Kreisen fliegen und zum Raben schreien, weil ihre Brutplätze verschwunden sind."
Aber auch das hier durch einen Irrtum ausgelöste feindselige Verhalten gegenüber der Inuit kann als Warnung oder auch einfach nur als bloße Erkenntnis wahrgenommen werden. Die Geschichte beweist, dass Derartiges immer wieder vorgekommen ist und wohl auch in Zukunft nicht ausbleibt. Der Mensch will erobern und besitzen, schafft er es auf die eine Weise nicht, so wird er es auf eine andere tun. So ist letztlich die Franklin-Expedition zwar gescheitert, doch mittlerweile ist die Passage durch die Klimaerwärmung frei passierbar, da es kein Eis mehr gibt.

Noch ein paar Worte zur Charakterbildung. Hier hat Simmons sein ganzes Können unter Beweis gestellt. Kapitän Crozier macht hier meines Erachtens die größte Entwicklung durch, dicht gefolgt von dem Assistenzarzt Goodsir, der mich am meisten überrascht hat. Warum das so ist, werde ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Mein Herz verloren habe ich an den 3. Leutnant John Irving. Er ist einer meiner Lieblingscharaktere in diesem Roman. Aber auch die Antagonisten sind hervorragend gezeichnet. Die Interaktion, die inneren Monologe, die Dialoge – alles perfekt und glaubwürdig inszeniert. Es sind die Figuren, die den Leser durch diese außergewöhnliche Geschichte tragen.

Fazit

"Terror" ist für mich ein Lesehighlight. Schockierend, brutal, authentisch und bewegend – ein historischer Roman, der mit epischer Wucht einschlägt. Die Geschichte hallt auch Wochen nach der Lektüre noch nach. Besonders in der kalten, dunklen Jahreszeit zu empfehlen aber auch im Sommer sicher ein Genuss, denn allein beim Gedanken an die ewige, unerbittliche Kälte in dieser Geschichte, bekomme ich eine Gänsehaut.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 30. Oktober 2018 um 11:27

Ahhhhhhh! Klingt ganz hervorragend. Danky Yvy. Und ist eine schöne Rezension! Wo auch die Rezensentin ihr Können aufleuchten lässt.

yvy kommentierte am 30. Oktober 2018 um 11:39

Danke für die Blumen. :)
Ich hoffe, die Geschichte kann dich genauso begeistern wie mich.

sphere kommentierte am 30. Oktober 2018 um 12:37

Tolle Rezi zu einem tollen Buch! Hast du auch andere von Simmons gelesen? Ich bisher noch nicht...Hyperion soll ja sein Meisterstück sein.

yvy kommentierte am 30. Oktober 2018 um 12:52

Ich habe noch "Drood" ungekürzt gehört. Das war aber so gar nicht mein Fall. Ansonsten habe ich noch sehr viel auf dem SuB. Besonders auf "Sommer der Nacht" freue ich mich. Die Sci-Fi Romane klingen auch sehr interessant. Die gibt es teilweise bei Audible. Mal schauen oder besser hören. ;)