Rezension

"Das Leben ist uns verboten"

Der Reisende - Ulrich Alexander Boschwitz

Der Reisende
von Ulrich Alexander Boschwitz

Bewertet mit 5 Sternen

Gelesen schon vor geraumer Zeit, gehört dieses Buch zu einem Stapel zu besprechender Bücher, die, bedingt durch einen Umzug, in einen Karton verpackt in der Ecke standen und erst jetzt so nach und nach ans Tageslicht kommen. Während ich allerdings bei den anderen Büchern herumblättere und mich erneut einlesen muss, ist das hier nicht nötig. Ulrich Alexander Boschwitz' Roman "Der Reisende" ist so eindringlich geschrieben und hinterlässt eine so nachhaltige Mischung aus Beklemmung, Wut und Trauer, dass man es so schnell nicht vergisst.
Boschwitz, 1915 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns und einer Senatorentochter geboren, emigriert 1935 nach Schweden und über Umwege nach England. Dort kommt er nach Kriegsausbruch in ein Internierungslager für "feindliche Ausländer" und wird nach Australien deportiert. 1942 wird das Schiff, auf dem er die Rückreise antritt von einem deutschen Uboot torpediert. Boschwitz stirbt mit 27 Jahren. Er hinterlässt zwei Bücher. "Menschen neben dem Leben" erscheint 1937 in Schweden und "Der Reisende" 1939 in England unter dem Pseudonym John Grane. Beide Bücher sind nun dankenswerterweise über Klett-Cotta erhältlich.
"Der Reisende" erzählt die letzten Wochen des jüdischen Kaufmanns Otto Silbermann. Während der Novemberpogrome 1938 muss er aus seiner Wohnung fliehen. Alles, was ihm bleibt, ist ein Koffer mit Geld. Auf der Suche nach einer Ausreisemöglichkeit fährt er damit im Zug durch Deutschland. Und verliert dabei Stück für Stück alles, was ihn ausgemacht hat: Status, Freunde, Familie, Werte.
Silbermann sieht nicht so aus, wie der gemeine Nationalsozialist sich einen Juden vorstellt, daher gelingt es ihm lange, sich durchzumogeln. Und der Leser erfährt deutlich, wie es wohl ist, in einer Gesellschaft zu leben, wo das Aussehen lebensrettend sein kann. Es ist überaus beklemmend zu lesen, wie sich eine Tür nach der nächsten verschließt, wie Silbermann auf der Suche nach einem Ausweg durch Deutschland hetzt, immer isolierter, immer mißtrauischer.
Man kann es sich ja heutzutage kaum noch vorstellen, ein Leben als Verfolgter, ein Leben auf der Flucht. So wenig ist es vorstellbar in unserem Wohlstand, dass ausgerechnet Deutsche gegen Flüchtlinge protestieren und die Grenzen schließen möchten, aus Angst, eine Banane weniger im Obstkorb zu haben. Flüchtlinge möchten ein menschenwürdiges Leben, Freiheit, Sicherheit. Und wenn man Boschwitz' Roman liest, begreift man, wie schnell man einen Menschen auch ohne körperliche Gewalt brechen kann, durch Entzug der Menschenwürde.
Das Buch ist heute so aktuell wie zu der Zeit, in der es geschrieben wurde. Immer noch müssen Synagogen geschützt werden, immer noch können Juden kein freies Leben führen ohne Angst. Nein, inzwischen müssen sie sogar wieder deutlich mehr um ihr Leben fürchten als in den Jahren zuvor. Antisemitismus scheint in den Köpfen nicht löschbar zu sein. Wie genau sich Antisemitismus eigentlich zeigt, wie unmenschlich dieses Denken ist, auch das beschreibt "Der Reisende" deutlich.
Das, was Menschen wie Silbermann erleiden mussten, das darf sich nicht wiederholen. Und deshalb hat Klett-Cotta die Boschwitz-Romane zur rechten Zeit aufgelegt. Denn neben großartiger Literatur sind sie ein Mahnmal für Menschlichkeit und Frieden.