Rezension

Das leise Sterben des Eises

Das Eis - Laline Paull

Das Eis
von Laline Paull

Bewertet mit 4 Sternen

Der Klimawandel ist nicht mehr zu leugnen: der Nordpol ist komplett geschmolzen, Eisbären sind so gut wie ausgestorben. Und doch spielt dieses Buch nicht in 100 Jahren, nicht in 50 Jahren, nicht einmal in 10 Jahren, sondern beinahe JETZT.

Wir schreiben das Jahr 2018 und die Arktis liegt im Sterben.

Auch wenn der Klappentext einen Ökothriller vermuten lässt, steht im Zentrum doch immer diese stille Tragik – ein Abgesang auf ein einzigartiges Stück Natur. 

Die verschiedenen Charaktere verkörpern die vielen Facetten der Schuld: Profitgier, Streben nach Macht, sensationslüstere Übersättigung oder einfach Gleichgültigkeit und Ich-Bezogenheit… Den plump erhobenen Zeigefinger vermeidet die Autorin, denn der ist gar nicht nötig; die eindringlichen Schilderungen der Arktis genügen, um den Leser zum Nachdenken anzuregen.

Dennoch erzählt der Roman auch die Geschichte einer Freundschaft, die im Tod endete. Vielleicht ein Unfall, vielleicht mehr als das, über viele Kapitel bekommt man nur spärliche Bruchstücke der Geschichte.

Und hier zeigt das Buch in meinen Augen deutliche Längen.

Manche Enthüllungen werden eben doch zu sehr hinausgezögert, die Handlung verliert sich in hässlichen Nebensächlichkeiten wie Ehebruch. Dabei sind die beiden Hauptcharaktere wirklich gut gelungen und bieten enormes Potential für Spannung: Unternehmer Sean Cawson und Umweltaktivist Tom Harding, seit vielen Jahren beste Freunde.

Die Grundlage ihrer Freundschaft ist die gemeinsame Liebe zur Arktis, auch wenn sich diese bei den beiden Männern drastisch unterschiedlich äußert. Tom will die Arktis retten, sie so weit es noch geht im natürlichen Zustand erhalten. Sean will sein eigenes Stück der Arktis besitzen und daraus Gewinn schlagen, er strebt nach Macht und Ansehen.

Sean macht es dem Leser nicht leicht.

Meines Erachtens ist er kein schlechter Mensch, aber ein schwacher Charakter. Solange er Gewinn daraus schlägt, geht er den Weg des geringsten Widerstands und verschließt die Augen davor, wie er sich für die Ziele anderer benutzen lässt. Es dauert lange, bis er aufwacht und begreift, was er getan hat und wo seine persönliche Verantwortung liegt – dann jedoch kann man verstehen, was Tom in seinem Freund gesehen hat.

Gut geschrieben sind die Charaktere in meinen Augen alle, gerade weil sie sehr ambivalent sind und sich nicht klar einordnen lassen in “gut” oder “böse”. Mögen muss (oder kann) man sie nicht unbedingt.

Der Schreibstil ist aus verschiedenen Gründen sehr interessant.

Zum einen wird die Natur in kraftvollen, lebendigen Bildern beschrieben, die viel Atmosphäre aufbauen. Zum anderen spiegelt der Schreibstil eindrucksvoll Seans innere Zerrissenheit wieder. Schnell erahnt man als Leser, dass man seiner Wahrnehmung nicht immer trauen kann. Er hat Halluzinationen, seine Sinneswahrnehmungen sind oft übersteigert. Posttraumatische Belastungsstörung oder Schuldgefühle? Das ist ihm selbst bis zum bitteren Ende nicht klar.

FAZIT

Umweltaktivist Tom Harding und Unternehmer Sean Cawson – beste Freunde, seit Jahrzehnten verbunden durch ihre Liebe zur Arktis. Doch der Einbruch einer gemeinsam besuchten Gletscherhöhle nimmt einen tragischen Ausgang: Sean überlebt schwer verletzt, Toms Leiche kann nicht geborgen werden.

Als diese vier Jahre später aus einer Gletscherspalte gespült wird, wird der Unfall vor Gericht neu untersucht und Sean muss sich seinen Dämonen stellen.

Was nach einem Thriller klingt, ist jedoch eher ein Umweltdrama zum Nachdenken.

Tatsächlich hat der Roman meiner Meinung nach einige Längen, aber seine große Stärke liegt in der Schilderung der Arktis und der Gefahren, die diesem einzigartigen Lebensraum drohen. Ich habe es nicht bereut, das Buch gelesen zu haben.

Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Blog:
https://wordpress.mikkaliest.de/2018/06/26/rezension-laline-paull-das-eis/