Rezension

Das Mädchen aus Aleppo öffnet dem Leser die Augen

Ich bin das Mädchen aus Aleppo - Bana Alabed

Ich bin das Mädchen aus Aleppo
von Bana Alabed

Bewertet mit 4 Sternen

Bana Alabed lebt mit ihrer großen Familie in Aleppo und ihre ersten Lebensjahre sind noch glücklich – doch dann bricht der Bürgerkrieg aus. Aus dem unbeschwerten Mädchen wird ein Kind, welches sich mit seiner Familie vor den Bombenangriffen manchmal Ewigkeiten im Keller verstecken muss, das unter den Rationierungen von Strom, Wasser und Nahrung leidet, den Tod und die Unmenschlichkeit tagtäglich erleben muss und trotzdem immer noch stark ist. Bekannt wurde sie, weil sie über Twitter versuchte die Welt auf die Schrecken in Syrien aufmerksam zu machen. 

Für dieses Buch die richtigen Worte zu finden ist unglaublich schwierig. Die Gräueltaten werden gut nachvollziehbar und bildlich dargestellt und haben mich nicht selten heftig schlucken lassen. Gelegentlich musste ich das Buch auch komplett zur Seite legen, weil es einfach schrecklich ist, was syrische Männer, Frauen und vor allem die Kinder Tag für Tag erleiden müssen. Die Ängste, die Zwänge und die Unsicherheiten werden in diesem Buch sowohl bei den Ausführungen der Mutter, als auch bei Banas Abschnitten sehr deutlich und lassen jedem emphatischen Menschen fast das Blut in den Adern gefrieren. Wobei mich die Ausführungen der Mutter deutlich mehr emotional packten, als Banas Schilderungen. Die Mutter hat eine gewisse Authentizität, die mir bei Bana stellenweise etwas fehlte. Natürlich werden Kinder, die keine echte Kindheit haben schneller erwachsen, was sich vielleicht auch in der Art des Schreibens niederschlägt, allerdings waren mir Banas Abschnitte viel zu verkopft (obwohl der Stil recht simpel gehalten ist, ist er fast nie kindlich, auch wenn ab und an mancher kindliche Gedanke verarbeitet wird), nur selten hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte wirklich von der Kleinen geschrieben wurde. Viel häufiger erscheint es mir, dass Banas Geschichte von einem Erwachsenen verfasst wurde. Das kann ich natürlich nicht beweisen, aber es ist eben auch nur so ein Gefühl gewesen. Genau dieses Gefühl brachte mich auch zum Recherchieren ihrer Twittergeschichte und ich wurde auch prompt fündig. Einiges nährt gewisse Zweifel, auch die Frage, ob es in Ordnung ist Kinder zu instrumentalisieren (zumindest habe ich bis zu einem gewissen Grad den Eindruck, dass genau das geschehen ist) und einiges anderes lässt sich kritisch hinterfragen, sodass das Buch auch besonders viel Stoff für Lesezirkel bietet. Aber auch andere Themen, wie beispielsweise die Hoffnung oder Heimatverbundenheit lassen sich toll diskutieren. Das Buch als solches ist vielleicht alles andere als perfekt, aber die Auseinandersetzung mit dem traurigen und erschütternden Schicksal der Syrer muss stattfinden. 

Auch die Bewertung als solche ist unheimlich schwierig. Ohne dieses Hintergrundwissen (wobei auch da – die Bilder auf Banas eigenen Kanälen einmal ausgenommen - zumindest theoretisch einiges falsch dargestellt sein könnte) hätte ich nur geringe Abzüge, wenn überhaupt vorgenommen. Da ich nun aber diese im Buch entstandenen und im Netz verfestigten Zweifel gegenüber Banas Urheberschaft hatte, wollte ich nur drei Sterne geben. Nachdem nun etwas Zeit nach der Lektüre vergangen ist, ist mir aber klar geworden, dass es viel zu wichtig ist, was Bana und ihre Mutter berichten, welche Message die das Buch – jenseits dessen, wie es nun wirklich geschrieben wurde- transportiert, sollten möglichst viele lesen. Es rückt in jedem Fall jedes kleinere Problem, das man im europäischen Alltag so hat, in ein anderes Licht…

In keinem Fall sollte dieses Buch ein Kind lesen, Jugendliche wohl nur, wenn sie etwas befestigt sind und sich mit anderen darüber austauschen können. 

Dieses Buch mag man irgendwann gelesen haben, aber solange der Krieg tobt, wird der Leser es nie komplett beendet haben.