Rezension

Das Monster in uns!

Sieben Minuten nach Mitternacht - Patrick Ness, Siobhan Dowd

Sieben Minuten nach Mitternacht
von Patrick Ness Siobhan Dowd

Bewertet mit 5 Sternen

«Ich habe mich einzig aus dem Grund auf den Weg gemacht, um dir dies zu sagen, damit es dich heilen möge. Du musst mir zuhören. [...] Du schreibst die Geschichte deines Lebens nicht mit Worten[...]. Du schreibst sie mit Taten. Es ist nicht wichtig, was du denkst. Wichtig ist nur, was du tust.»
[aus Sieben Minuten nach Mitternacht von Patrick Ness und Siobhan Dowd; S. 202]

Erster Satz:
Das Monster tauchte kurz nach Mitternacht auf.

Inhalt:
Der dreizehnjährige Conor hat sie jede Nacht: Albträume. Albträume, die er niemandem erzählen würde und die ihm Angst machen. Da seine Mutter schwer krebskrank ist und sein Vater mit einer neuen Frau in Amerika lebt, ist Conor vollkommen alleine. Er macht sein Essen selbst, putzt und hilft seiner Mutter, der es nach einer Behandlung immer sehr schlecht geht. Auch in der Schule ist Conor auf sich selbst gestellt, denn von einigen seiner Mitschüler wird er gemobbt, während er mit den anderen keinen Kontakt will. Als Conor eines Nachts, genau sieben Minuten nach Mitternacht seinen Namen hört und ans Fenster geht, sieht er dort im Garten vor dem Haus ein riesiges Monster stehen, das der Eibe auf dem Hügel vor dem Haus verdächtig ähnlich sieht. Das Monster will Conor drei Geschichten erzählen und erwartet am Ende seiner Geschichten im Gegenzug eine ganz bestimmte Geschichte von Conor und das ist etwas, was dieser kaum zugeben möchte: Die Wahrheit.

Schreibstil:
Patrick Ness Schreibstil ist einfach und jugendlich gehalten und besitzt dennoch die nötige Tiefe, um auch für Erwachsene noch ansprechend zu sein. Mit seinen Worten schafft er eine stimmige Atmosphäre, die die Geschichte in all ihren Facetten wiederspiegeln kann und so keine kompliziert verschachtelten Sätze nötig hat. Sie lebt von Emotionen und der Schreibstil konnte diese mit vollem Erfolg übermitteln und war eindringlich und dennoch leise, sodass das Buch schnell und flüssig zu lesen ist.

Aufmachung/Gestaltung:
Neben dem Schreibstil, übermittelt jedoch auch die innere Gestaltung des Buches die Atmosphäre der Geschichte mit wunderschön gezeichneten Skizzen, die sich beinahe auf jeder Seite finden lassen. Jim Kay hat hier eine tolle Arbeit geleistet und Bilder geschaffen, die eine düstere und traurige Stimmung ausstrahlen und gleichzeitig dafür sorgen, dass das Kopfkino jedes Lesers glaubwürdig umgesetzt wurde, denn die Bilder haben wirklich sehr genau das vermittelt, was ich mir beim Lesen vorgestellt habe. Durch die Skizzen wird der Leser noch tiefer in die Geschichte gesogen und fühlt sich dem Buch emotional noch sehr viel näher. Außerdem gewinnt sie an Glaubwürdigkeit und regt die Phantasie an.

Meinung:
Bücher sind voll von Monstern. Das fängt bei Rechtschreibmonstern an, geht über das Monster in einem Selbst und endet bei Erzfeindmonstern. Manche Monster verstecken sich dabei unter dem Bett, manche im Schrank und dann gibt es noch diese, die ganz tief in einem selbst verborgen sind und jene, die eigentlich gar keine Monster sind. Auch "Sieben Minuten nach Mitternacht" erzählt emotional und tiefgründig von einem Monster, dass gekommen ist, um Conor zu helfen. Es ist eine Geschichte mit düsteren Winkeln über die menschliche Seele, die zeigt, dass man manchmal jemanden loslassen muss, um sich selbst nicht zu verlieren und das es manchmal keine Rettung mehr gibt, egal, wie sehr man sich daran festklammert.

"Sieben Minuten nach Mitternacht" ist eines dieser Bücher, die zuerst völlig an mir vorbeigegangen sind. Nach und nach wurde das Buch in diversen Besprechungen immer populärer und gefragter, doch irgendwie kam es nie dazu, dass ich mir eine von ihnen wirklich angeschaut hätte bis ich eines Tages den Trailer zu dem Buch sah und plötzlich das Gefühl hatte, dieses Buch unbedingt lesen zu müssen. Geschichten, die unterhalten findet man heutzutage zu Hauf, aber Bücher die noch dazu etwas sinnvolles vermitteln sind Raritäten und ich war mir sicher, dass "Sieben Minuten nach Mitternacht" mich in dieser Hinsicht nicht enttäuschen würde - und das hat es auch nicht getan.

Der junge Protagonist Conor führt ein sehr bedrückendes und schwieriges Leben. Für seine dreizehn Jahre ist er ungewollt sehr selbstständig und dennoch zu jung, um alleine mit der Situation umzugehen, die er durchleben muss. Er hat eigentlich wirklich gar nichts mehr, wenn seine krebskranke Mutter nicht mehr da ist und das hat mich sehr schockiert. Vor allen Dingen die Tatsache, dass sein Vater schon längst eine andere, neue Familie gegründet hat und seinen Sohn eher wie einen Fremden behandelt. So hinterlässt Conor einen bitteren Geschmack auf der Zunge und überzeugt den Leser dennoch von Anfang an mit seiner Stärke und seinem Mut. Besonders interessant ist das Monster, das der Eibe im Garten ähnelt und einen sehr aufbrausenden, aber dennoch warmen Charakter hat. Wie man die Funktion des Monsters auslegen will, ist, denke ich, jedem selbst überlassen und hier kommt es auch sehr stark auf die Altersunterschiede und die unterschiedlichen Menschen an.

Die Geschichte um Conor und sein Monster ist sicherlich keine leichte Lektüre, die man eben mal liest und danach zur Seite legt. Es ist ein Buch, dass sich tief ins Herz bohrt und Widerhaken hat, sodass es beim Herausziehen noch einmal so richtig wehtut. Es ist ein Buch zum Weinen, zum Schluchzen, zum Nachdenken, zum Identifizieren. Dennoch ist es auch kein anspruchsvolles Buch und genau das ist es, was die Geschichte so besonders macht. Sie ist zeit- und alterlos und kann in jeder Altersklasse unterschiedlich verstanden und ausgelegt werden. Es ist kein reines Kinderbuch, aber es kann von Kindern gelesen werden und sie werden es verstehen, aber eben auf ihre ganz eigene Weise, während Erwachsene es lesen und es womöglich auf einer ganz anderen, emotionaleren Ebene lesen.

Die drei Geschichten, die das Monster erzählt sind sehr aussagekräftig und bei manchen muss man ein wenig länger überlegen, bis man den Sinn wirklich verstanden hat. Oft kommt es ganz anders, als man dachte und das macht den Leser stutzig und regt gleichzeitig zum Mit- und Nachdenken an. Auch Conors eigene Geschichte ist auf den ersten Blick vielleicht erst einmal schwer greifbar, aber dennoch verständlich. Man wird durch eine Phase von Emotionen gehen müssen, um dies wirklich zu verstehen. Unterstrichen wird all das durch die schaurig-schönen Bilder, die dem ganzen noch einmal einen ganz besonderen Beigeschmack geben.

Ich für meinen Teil habe das Buch mit einem schweren, bedrückendem Gefühl im Bauch gelesen und auf den letzten vierzig Seiten eigentlich durchgehend geweint. Das ist aber auf keinen Fall etwas schlechtes, denn das Buch ist nicht nur traurig, sondern vermittelt auch Hoffnung und Mut und Lebensweisheiten, an die man sich sicherlich erinnert. Bestimmt werde ich noch lange an der Geschichte zu knabbern haben und sie nicht so schnell vergessen. Was mich auch sehr fasziniert hat, ist die Tatsache, dass Siobhan Dowd, die die Geschichte eigentlich schreiben wollte, leider viel zu früh an Krebs gestorben ist und ihre Worte so nicht mehr zu Papier bringen konnte. Für sie hat Patrick Ness die Geschichte geschrieben und ich bin sehr froh, dass dies der Fall ist.

Fazit:
Wenn ihr irgendwann einmal unter einer alten Eibe steht, dann solltet ihr wissen, dass diese Bäume ganz besondere Heilkräfte haben und womöglich das ein oder andere Mal vor eurem Fenster stehen könnten, um euch aus einer misslichen Situation zu helfen. Solltet ihr keine Eibe in der Nähe haben, tut es aber auch "Sieben Minuten nach Mitternacht", denn mit diesem Buch wird eine ganz besonders heilende, aber auch traurige Geschichte erzählt, die mitten ins Herz trifft und auf die Tränendrüse drückt. Gefühlvoll und atmosphärisch dicht erzählt dieses Buch vom Loslassen, von der Trauer und der Angst, die sicherlich jeder von uns schon einmal irgendwann gefühlt hat, wenn er jemanden verloren hat, und ist nicht nur inhaltlich, sondern auch äußerlich ein absolutes Meisterwerk und jede Seite wert.