Rezension

Das Potential einer spannenden Idee konnte leider nicht genutzt werden – langatmige Dystopie, die mich kaltließ

Die Geschichte der schweigenden Frauen - Bina Shah

Die Geschichte der schweigenden Frauen
von Bina Shah

~ „Die Geschichte der schweigenden Frauen“ ist eine feministische Dystopie einer pakistanischen Autorin, an die ich hohe Erwartungen hatte, die mich jedoch leider enttäuscht hat. Der gewöhnungsbedürftige Schreibstil war mir viel zu langatmig und schwerfällig und mit den Hauptfiguren bin ich nicht warm geworden. Ich konnte über weite Strecken nicht mit ihnen mitfühlen, ihr Schicksal blieb mir bis zum Schluss egal. Auch, was die Spannung betrifft, konnte mich das Buch leider nicht überzeugen: Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das ich (trotz mancher guter Ansätze und gelungener Momente) als so spannungsarm, zäh und langatmig empfand. Sehr oft habe ich sogar mit dem Gedanken gespielt, die Lektüre abzubrechen. Dabei hatte die Idee der Autorin durchaus Potential: Sie hat eine ebenso interessante wie fremdartige und furchteinflößende Zukunft entworfen, die sich in ihrem misogynen Gesellschaftsmodell leider nicht allzu stark von der Realität in manchen Ländern unterscheidet. Dem Vergleich mit Margaret Atwoods Werk „Der Report der Magd“ hält die Geschichte leider trotzdem nicht stand. Das liegt zum einen daran, dass die erfundene Welt durch das dünne und oberflächliche Worldbuilding vage und wenig greifbar bleibt, und zum anderen an der etwas unglücklichen, einseitigen Wahl der Perspektiven. Feministische Themen sind in einer Welt, die sich zunehmend wieder konservativen Geschlechterbildern zuwendet und die große Probleme mit Sexismus und Misogynie hat, hochaktuell. Bei Bina Shah stehen wichtige Aspekte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Freundschaft, Feminismus und Angst im Mittelpunkt, leider werden sie aber nur punktuell überzeugend behandelt. Oft fehlte mir Tiefe. Enttäuscht hat mich auch, dass die Frauen im Roman immer abhängig von heldenhaften Männern bleiben, die bereit sind, für sie ihr Leben zu riskieren. Diese Dystopie hätte mich wütend machen, mich mitfiebern und innerlich mitrebellieren lassen sollen, stattdessen konnte mich das Buch leider emotional nicht erreichen und ließ mich kalt. Kurz: „Die Geschichte der schweigenden Frauen“ ist ein Roman, der sein Potential leider nicht nutzen und mich nicht überzeugen konnte. Ich kann deshalb keine Leseempfehlung aussprechen. ~

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Sabine ist ein Mitglied der Panah – einer kleinen Gruppe von rebellischen Frauen, die versteckt im Untergrund leben und sich finanzieren, indem sie ranghohen Männern gegen Geld Gesellschaft anbieten – allerdings auch nicht mehr. In der modernen Metropole Green City, der neuen Hauptstadt von Südwest-Asien, gibt es nach Kriegen und dem Ausbruch einer ansteckenden Krankheit einen großen Mangel an Frauen. Mithilfe der neuesten Fruchtbarkeitsmedikamente, der Verheiratung mit mehreren Ehemännern und gezielter Unterdrückung soll dafür gesorgt werden, dass Frauen viele Kinder austragen und so die Bevölkerung möglichst schnell wieder wächst. Sabine und ihre Kolleginnen weigern sich, ein Teil dieser neuen Gesellschaft zu sein – dadurch ist ihr Leben in ständiger Gefahr…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Golkonda
Seitenzahl: 336
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum und Präsens
Perspektive: hauptsächlich weibliche Perspektive, selten auch männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis lang
Tiere im Buch: +! Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Im Gegenteil, in Green City gibt werden Eier und Fleisch mittlerweile synthetisch hergestellt, weswegen keine Tiere mehr leiden müssen.

Warum dieses Buch?

Da das Buch mit Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ verglichen und als feministische Dystopie bezeichnet wurde, wollte ich es unbedingt lesen. Besonders interessant fand ich zudem, dass es sich bei Bina Shah um eine pakistanische Autorin handelt.

Meine Meinung

Einstieg (2 Lilien)

„Wir wussten, man würde uns zu mindestens zwei Ehen zwingen, vermutlich aber drei oder vier, sobald wir alt genug dafür waren.“ E-Book, Position 325

Der Einstieg fiel mir leider nicht leicht. Es hat lange gedauert, bis ich zumindest halbwegs in der Geschichte angekommen war.

Schreibstil (2 Lilien)

Es gab durchaus einige Szenen, in denen der gewöhnungsbedürftige, eher anspruchsvolle Schreibstil bei mir punkten konnte – auch wenn ich manche Beschreibungen und Vergleiche holprig fand und es der Sprache vermutlich gut getan hätte, wenn man sie noch etwas geschliffen und poliert hätte. Insgesamt war mir der Schreibstil aber leider viel zu langatmig und schwerfällig – es wollte sich einfach kein Lesesog einstellen.

Inhalt, Themen & Ende (2 Lilien)

„Was bindet uns schließlich wirklich aneinander, abgesehen von dem gemeinsamen, brennenden Wunsch, frei zu sein?“ E-Book, Position 432

Bina Shahs Geschichte wird als Parabel auf das Leben von unterdrückten Frauen auf der ganzen Welt bezeichnet und mit Margaret Atwoods Dystopie „Der Report der Magd“ verglichen. Leider hält das Buch meiner Meinung nach einem Vergleich nicht stand.

Die Idee, die hinter dem Roman steckt, hatte definitiv Potential. Bina Shah hat eine ebenso interessante wie fremdartige und furchteinflößende Zukunft entworfen, die sich in ihrem misogynen Gesellschaftsmodell leider nicht allzu stark von der Realität in manchen Ländern unterscheidet. Wenn man die Auszüge aus dem „Handbuch für Bürgerinnen“ durchliest, die sich vereinzelt am Kapitelanfang finden, läuft einem ein Schauer über den Rücken. Frauen müssen Fruchtbarkeitsmedikamente nehmen, Homosexualität, Abtreibungen und Verhütung sind unter Strafe verboten.

Leider konnte das Potential der Geschichte jedoch nicht genutzt werden, was mich enttäuscht hat. Zum einen liegt das daran, dass das Worldbuilding (hier hat Atwood definitiv die Nase vorn) viel zu dünn und oberflächlich war – vieles wird nur angedeutet, sodass die erfundene, technisch weit entwickelte Zukunft vage und nicht wirklich greifbar bleibt. Zum anderen sind auch die Perspektiven nicht optimal gewählt. So begleiten wir mehrere Frauen der Panah, deren alltägliches Leben sich nur minimal voneinander unterscheidet, aber eine Gattin kommt zum Beispiel nicht zu Wort. Dabei wäre es sehr interessant gewesen, diese fremdartige Gesellschaft von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Leider kommt die Handlung auch nur sehr langsam in Schwung. Diese Dystopie hätte mich wütend machen, mich mitfiebern und innerlich mitrebellieren lassen sollen, stattdessen konnte mich das Buch leider emotional nicht erreichen und ließ mich kalt. Während der Lektüre war ich seltsam gleichgültig und desinteressiert.

Feministische Themen sind in einer Welt, die sich zunehmend wieder konservativen Geschlechterbildern zuwendet und die große Probleme mit Sexismus und Misogynie hat, hochaktuell. Bei Bina Shah stehen wichtige Aspekte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Freundschaft, Feminismus und Angst im Mittelpunkt, leider werden sie aber nur punktuell überzeugend behandelt. Oft fehlte mir Tiefe, die Geschichte fühlte sich für mich sehr oberflächlich und hastig ausgearbeitet an. Im Buch steht, dass der Roman zuerst eine Kurzgeschichte war, die im Anschluss ausgebaut wurde – das merkt man meiner Meinung nach auch. Plot und Figuren hätten nämlich in einer Kurzgeschichte funktioniert, tun das in einem längeren Roman aber leider nicht. Das Ende fand ich in Ordnung, auch wenn es mir ein wenig zu offen war. 

Trotz alldem bin ich dem kleinen Verlag Golkonda sehr dankbar, dass er auch internationalen AutorInnen eine Bühne bietet und uns LeserInnen damit die Chance gibt, z. B. auch anspruchsvolle feministische Literatur aus Pakistan zu entdecken!

Protagonistinnen & Figuren (2 Lilien)

„Die Obrigkeit hatte nichts dagegen, ein paar Frauen zu opfern, damit der Rest von uns sich fügte.“ E-Book, Position 523

Leider bin ich das ganze Buch über mit den Hauptfiguren nicht warm geworden. Es war ständig eine gewisse Distanz da und ich konnte über weite Strecken nicht mit ihnen mitfühlen. Ihr Schicksal blieb mir bis zum Schluss egal. Nur in seltenen Momenten fühlte ich eine Verbindung zu den ProtagonistInnen. Sie waren (bis auf wenige Ausnahmen) leider zu blass und austauschbar, um mir lange im Gedächtnis zu bleiben. Tatsächlich fand ich die männlichen Figuren (Faro und Julien) greifbarer und liebevoller ausgearbeitet, was ich bei einem feministischen Roman, in dem wir doch mit gerade den Frauen mitfiebern sollten, schade finde.  

Spannung & Atmosphäre (1 Lilie)
Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das ich als so spannungsarm, zäh und langatmig empfand. Auch eine dichte Atmosphäre fehlte mir. Beim Lesen kam ich mir vor, als würde ich durch Treibsand waten, weil ich so langsam vorankam. Sehr oft habe ich auch mit dem Gedanken gespielt, das Buch abzubrechen. Diesen Plan verwarf ich jedoch aus drei Gründen: Erstens hoffte ich, dass es noch besser werden würde, zweitens wollte ich diese feministische Literatur aus Pakistan (einem Land, aus dem uns ohnehin nicht viel Literatur erreicht) nicht leichtfertig abbrechen und drittens sehe ich es als meine Pflicht an, in diesem Bereich auf dem neuesten Stand zu bleiben und nichts Wichtiges zu verpassen. Leider hat sich das Weiterlesen meiner Meinung nach (trotz einer etwas besseren zweiten Hälfte mit dem einen oder anderen spannenden oder emotionalen Moment) nicht wirklich gelohnt.

Feministischer Blickwinkel (4 Lilien)

„Die Geschichte der schweigenden Frauen“, ein Roman, der den Bechdel-Test besteht, bekommt in diesem Bereich von mir 4 Lilien. Einerseits sind diese feministische Kritik der Gesellschaft und das Thematisieren von Unterdrückung und Misogynie sehr wichtig, andererseits werden die Frauen im Roman oft auf ihre Schönheit reduziert und bleiben immer abhängig von heldenhaften Männern, die bereit sind, für sie ihr Leben zu riskieren. Zudem werden manchmal Geschlechterstereotypen reproduziert.

Mein Fazit

„Die Geschichte der schweigenden Frauen“ ist eine feministische Dystopie einer pakistanischen Autorin, an die ich hohe Erwartungen hatte, die mich jedoch leider enttäuscht hat. Der gewöhnungsbedürftige Schreibstil war mir viel zu langatmig und schwerfällig und mit den Hauptfiguren bin ich nicht warm geworden. Ich konnte über weite Strecken nicht mit ihnen mitfühlen, ihr Schicksal blieb mir bis zum Schluss egal. Auch, was die Spannung betrifft, konnte mich das Buch leider nicht überzeugen: Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das ich (trotz mancher guter Ansätze und gelungener Momente) als so spannungsarm, zäh und langatmig empfand. Sehr oft habe ich sogar mit dem Gedanken gespielt, die Lektüre abzubrechen. Dabei hatte die Idee der Autorin durchaus Potential: Sie hat eine ebenso interessante wie fremdartige und furchteinflößende Zukunft entworfen, die sich in ihrem misogynen Gesellschaftsmodell leider nicht allzu stark von der Realität in manchen Ländern unterscheidet. Dem Vergleich mit Margaret Atwoods Werk „Der Report der Magd“ hält die Geschichte leider trotzdem nicht stand. Das liegt zum einen daran, dass die erfundene Welt durch das dünne und oberflächliche Worldbuilding vage und wenig greifbar bleibt, und zum anderen an der etwas unglücklichen, einseitigen Wahl der Perspektiven. Feministische Themen sind in einer Welt, die sich zunehmend wieder konservativen Geschlechterbildern zuwendet und die große Probleme mit Sexismus und Misogynie hat, hochaktuell. Bei Bina Shah stehen wichtige Aspekte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Freundschaft, Feminismus und Angst im Mittelpunkt, leider werden sie aber nur punktuell überzeugend behandelt. Oft fehlte mir Tiefe. Enttäuscht hat mich auch, dass die Frauen im Roman immer abhängig von heldenhaften Männern bleiben, die bereit sind, für sie ihr Leben zu riskieren. Diese Dystopie hätte mich wütend machen, mich mitfiebern und innerlich mitrebellieren lassen sollen, stattdessen konnte mich das Buch leider emotional nicht erreichen und ließ mich kalt. Kurz: „Die Geschichte der schweigenden Frauen“ ist ein Roman, der sein Potential leider nicht nutzen und mich nicht überzeugen konnte. Ich kann deshalb keine Leseempfehlung aussprechen.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 2 Lilien
Worldbuilding: 2,5 Lilien
Einstieg: 2 Lilien
Schreibstil: 2 Lilien
ProtagonistInnen: 2 Lilien
Nebenfiguren: 2 Lilien
Spannung: 1 Lilie
Atmosphäre: 2 Lilien
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 2 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀  Lilien

Dieses Buch bekommt von mir zwei Lilien!