Rezension

Das Recht auf Menschenwürde gilt auch für ein zehnjähriges Mädchen

I Am Nujood, Age 10 And Divorced - Delphine Minoui

I Am Nujood, Age 10 And Divorced
von Delphine Minoui

Bewertet mit 5 Sternen

"Ich will eine Scheidung." Mit diesen Worten steht ein gerade mal zehnjähriges Mädchen vor einem Richter in Sana'a, der Hauptstadt von Jemen. Die geringe Chance, die sie hat - Nujood nutzt sie. Was für ein Mut! Aber es gibt auch keine Alternative. Was ihr passiert ist, ist so unbeschreiblich unmenschlich, dass sie diesen Strohhalm ergreift, als sich Gelegenheit dazu bietet. Vielleicht war es ihr aufmüpfiger Bruder Fares, der durch sein Beispiel diese unerhörte Tat eines kleinen Mädchens erst möglich gemacht hat.

Nujood hat gerade einmal gelernt, ihren Namen zu schreiben und ein paar Koran-Suren zu rezitieren, da wird sie brutal aus ihrer Schule, aus ihrer Familie, aus ihrer Kindheit gerissen. Durch Armut in eine ausweglose Situation manövriert, fühlt sich ihr charakterschwacher Vater gezwungen, sie an einen gut zahlenden 32-Jährigen Ehemann zu verschachern.

Diese Geschichte ist wahr. Die Journalistin Delphine Minoui hat sie zusamen mit Nujood aufgeschrieben, und herausgekommen ist ein geschickt zusammengestellter und spannender Bericht. Schon das Vorwort, das vollmundig einen Vorgeschmack auf ein gut geschriebenes Buch gibt, macht Freude, wenn man bei so einer Geschichte überhaupt von Freude reden darf. Und auch im Englischen liest sich das Buch für mich erstaunlich flüssig. Die Co-Autorin versteht ihr Handwerk, weiß, wie man kurzweilig eine Story erzählt, und wechselt souverän zwischen mehreren Zeitebenen, ohne den Leser jemals zu überfordern. Herausgekommen ist die berührende Geschichte eines kleinen Mädchens, das nicht mehr Kind sein darf und sich doch mit aller Macht danach sehnt, und das lernt, sein Recht auf Menschenwürde mit jeder Faser seines Seins einzufordern. Andere werden ihrem Beispiel folgen.

My divorce had opened my eyes about many things, making me more sensitive to the unhappiness of others.

So etwas kann natürlich kein zehnjähriges Mädchen formulieren. Aber fühlen schon. Und  Delphine Minoui bringt die Gefühle Nujoods, für sie sie die Ich-Erzählung in Worte fasst, schön auf den Punkt.

Laws are for helping people, yes or no?

Shada, Nujoods Anwältin, muss sich von Kritikern anhören, dass sie durch ihre engagierte Arbeit die internationale Wahrnehmung Jemens in den Schmutz ziehen würde. Ich aber kann nur bezeugen, dass sie bei mir das Gegenteil erreicht hat: die Tatsache, dass es in diesem Land möglich ist, dass ein zehnjähriges Mädchen ganz alleine in ein Gerichtsgebäude geht und dort Gehör und Recht findet, erfüllt mich, die Europäerin, mit Achtung für dieses Land. Auch wenn in Jemen, wie vielerorts, nach wie vor vieles im Argen liegt: es gibt dort gute Menschen, die bereit sind, selbstlos zu helfen, es gibt Hoffnung, und es gibt ein Rechtssystem, das zumindest in diesem Fall nicht versagt hat. Ob die Situation für die Mädchen heute, zehn Jahre danach, besser ist, lässt sich für einen Außenstehenden nur schwer sagen. Präsident Ali Abdullah al-Saleh ist inzwischen abgesetzt; dafür breiten sich die schiitischen Houthi-Rebellen immer mehr aus; Al Quaida ist auch nicht weit. Immerhin wurde ein Jahr nach Nujoods tragischer Hochzeit ein jemenitisches Gesetz verabschiedet, das das Mindestalter für Eheschließungen auf 17 Jahre festlegt. Ob es etwas nützt? Es ist in jedem Fall ein langer und steiniger Weg, diskriminierende Traditionen aufzuweichen. Aber auf diesem Weg macht ein solches Buch einfach Mut.

It's so simple to be happy, when you're among friends. (Nujood Ali)

 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 06. September 2018 um 23:24

Sehr tolle Rezi!!!

 

Habe erst kürzlich auf Arte einen Bericht über den Jemen gehört. Es ist wirklich schwer, durchzusteigen und ich habe das Gefühl, dass da weder Iran noch die Saudis irgendeinen Funken Menschlichkeit haben. Steck sie in einen Sack und schlag drauf, du triffst immer den richtigen, wie ein Sprichwort sagt. Das nehme man natürlich nicht wörtlich, zeigt aber auf, wie sehr die Großmächte des Nahostraums in die Kriegshandlungen verstrickt sind. Aber jeder schwört, er sei unschuldig, "die anderen" sind die Bösen. Wie scheinheilig.

 

Naibenak kommentierte am 07. September 2018 um 08:52

Wow, Gänsehaut. Schöne Rezi und sehr beeindruckend geschildert. Danke, du Liebe!