Rezension

Das Schicksal der Sinti und Roma

Die Zeit der vergessenen Kinder - Charlotte Kliemann

Die Zeit der vergessenen Kinder
von Charlotte Kliemann

Bewertet mit 4 Sternen

** Ich saß hier neben dieser alten, verwitterten Frau, die einmal meine Mutter gewesen war und der Dreh- und Angelpunkt meines Fühlens und die mich eines Tages gezwungen hatte, jedes Gefühl zu ihr in mir zu ersticken. **

Dies ist die Geschichte von Rubina, einem Roma-Kind, die 1941 als 8-jährige, vor Verfolgung und drohender Deportation mit ihrer Sippe in den Wald flüchtet; ohne Pferde, ohne Wagen, ohne Vorräte....

Und es ist die Geschichte ihres Sohnes Martin, der nach einem traumatischen Erlebnis in seiner Kindheit nie ganz zu sich selbst gefunden hat; der, wenn er in den Spiegel schaut, als erstes diese großen dunklen Augen sieht, die braune Haut... seine Zweifel und mangelnde Selbstliebe. ließen seine Ehe scheitern, der Kontakt zur Mutter nicht vorhanden. Als er Claudia kennenlernt, scheint sie etwas zu verbinden, eine schwierige Kindheit und unheilvolle Familiengeschichte...doch reicht das, um sich zu öffnen, fallenzulassen, wieder zu vertrauen?

Charlotte Kliemann nimmt sich einem oft vergessenen Thema an und erzählt anhand von Rubina, eine sehr emotionale Geschichte der Verfolgung, des Hungers, der Angst und auch des Todes und Verlustes. Rubinas Schicksal geht tief unter die Haut. 

Abwechselnd wird aus den Jahren 1939-1943 und 2008 erzählt, wobei es aber auch ganz kurze, immer wiederkehrende Kapitel aus 1976 gibt, "Der Baum" genannt. 

Der Anfang ist ein wenig komplex, man findet sich zwar gut zwischen den Zeitsträngen zurecht, sollte sich aber etwas Zeit zum einlesen nehmen. Grade Martin und Claudia sind mit ihrer Art und ihrem Denken zu Beginn nicht immer ganz einfach. Das tolle daran aber ist, sie machen eine sichtbare Entwicklung durch und als Leser spürt man, wie unheimlich schwer das für sie ist. Es gibt kein Friede, Freude, Eierkuchen von jetzt auf gleich, da bleibt die Autorin sehr realistisch, aber es bewegt sich etwas und zurück bleibt Hoffnung. 

Der Schreibstil ist sehr flüssig und angenehm. Manchmal mit kleinen, fast schon poetischen Stellen, die einen innehalten lassen und manchmal auch sperrig.

Ich hätte gern noch etwas mehr über Martins Vergangenheit erfahren, mehr über seinen Bruder und Vater ~ das blieb leider ein wenig aussen vor. Und auch Rubina bleibt in späteren Jahren als Mutter und Ehefrau, recht blass. Da hätten es gern noch 150 Seiten mehr sein dürfen, die ich verschlungen hätte.

Fazit: Ein dunkles Kapitel unserer Zeit, das viele Nachkommen immer noch in sich tragen. Ein absolut lesenswertes und packendes Buch! Lesen!