Rezension

Das Schicksal ist ein Rätsel

Bella Ciao - Raffaella Romagnolo

Bella Ciao
von Raffaella Romagnolo

Bewertet mit 4 Sternen

In ihrem Roman  “Bella Ciao“ (Originaltitel: "Destino") zeichnet Raffaella Romagnolo das Schicksal einiger ausgewählter Familien im fiktiven Borgo di Dentro vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1946 nach und liefert dabei ein gut recherchiertes Porträt italienischer Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das zwei Weltkriege und den Faschismus ebenso umfasst wie die Situation italienischer Einwanderer in den USA. 
Im Mittelpunkt steht Giulia Masca, Mitte 60, die 1946 in Begleitung ihres Sohnes Michael zum ersten Mal in den Ort ihrer Kindheit zurückkehrt, den sie 45 Jahre zuvor fluchtartig verlassen hatte, nachdem sie kurz vor der Hochzeit den Verrat ihres Verlobten Pietro und ihrer besten Freundin Anita bemerkt hatte. Die schwangere 20jährige lernt in New York den Geschäftsmann Libero Manfredi kennen, der ihr fortan ein zuverlässiger Ehemann und Vater für ihren Sohn ist. Der Roman berichtet über ihr Leben in der neuen Welt ebenso wie über ihre harte Kindheit und Jugend mit einem Alkoholiker als Vater und einer verbitterten Mutter, die sie nicht liebt. Die Autorin benutzt die Technik des umgestellten Erzählens, um sowohl die private als auch die große Geschichte mit vielen Rückblenden, Wechseln der Erzählperspektive und  Zeitsprüngen zu erzählen, wobei sie immer wieder zur Gegenwart zurückkehrt, wo sich Giulia auf die Begegnung mit ihrer Vergangenheit vorbereitet. Eine Vielzahl von Personen, die mehreren Generationen angehören, macht die Lektüre nicht einfacher. Dennoch bleibt ein sehr positiver Eindruck zurück, denn der Leser geht mit einem enormen Zuwachs an Wissen aus der Lektüre des Romans hervor - sowohl, was die Situation ausgebeuteter Arbeiter in den Fabriken und von  Halbpächtern im Weinanbau und in der Landwirtschaft als auch den Faschismus  unter Mussolini betrifft. Viele Orte und Personen sind echt, und die beschriebenen Ereignisse, z.B. den Überfall auf die Druckerei und das Massaker an den Partisanen hat es wirklich gegeben.  Besonders beeindruckt hat mich der letzte Teil des Romans, der den verlustreichen Kampf der Partisanen in der  Resistenza  zeigt. Der deutsche Titel macht insofern Sinn, als “Bella Ciao“ das berühmte italienische Partisanenlied  aus dem Zweiten Weltkrieg war, das als Kampflied von Revolutionären aller Art überlebt hat. Es gibt viele Tote im Roman, aber dennoch auch tröstliche Botschaften: Familie ist wichtig, denn gerade in schwierigen  Zeiten muss man füreinander da sein. Die Vergangenheit gibt es nicht, denn man muss nach vorn schauen. Leben heißt gehen. Eventuell darf man allerdings zurückkehren so wie Giulia, die sich auch zukünftige Begegnungen ihres Sohnes und seiner Familie mit den Menschen in Borgo di Dentro vorstellen kann. 
Der Roman ist keine einfache Lektüre, aber absolut lohnend, wenn man sich erst einmal darauf einlässt.