Rezension

Das Tagebuch des Egidius Arimond

Winterbienen - Norbert Scheuer

Winterbienen
von Norbert Scheuer

Bewertet mit 4.5 Sternen

1944/45. In einem kleinen Eifelstädtchen lebt auf einem abgelegenen Hof Egidius Arimond. Er ist ehemaliger Gymnasiallehrer, im Deutschland Adolf Hitlers wegen seiner Epilepsie freigestellt und mit Mißtrauen betrachtet. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit Bienenzucht, in seiner freien Zeit verhilft er Juden zur Flucht über die Grenze nach Belgien. Gegen Geld, das er für seine Medikamente braucht.
Arimonds Leben dreht sich um die Bienen, sie sind sein Lebenssinn, sein Unterhalt, seine Freude, die er mit dem Leser teilt. Wir erfahren etwas über Zuchtsorten, Lebenszyklen, Ernährungsweise, Brutpflege. Eher nebenbei erzählt er von seinem restlichen Alltag, dem Kampf um die Medikamente, den Liebschaften, seiner Arbeit als Fluchthelfer. Er versteckt die Flüchtlinge in Höhlen in der Nähe seines Hofes und schmuggelt sie in Bienenkörben über die Grenze. Wie groß die Gefahr ist, in die er sich begibt, scheint ihm nicht vollends klar zu sein.
Arimond ist ein stiller Mensch, nicht weltabgekehrt, aber selbstgenügsam. Und so ist auch der Roman, der aus Tagebucheinträgen besteht. Es gibt keine lauten Verzweiflungsausbrüche, keine Wutschreie. Leise, fast eintönig vergehen die Tage. Und doch sind die Zeilen eindringlich. Eindringlich, weil so viel zwischen den Zeilen steht, das stutzen und aufmerken läßt. So ist Arimond durchaus beliebt bei den Frauen. Dem kann er gefahrlos nachgehen, weil er als Mensch mit einer Behinderung sterilisiert wurde.
" Die Entscheidungen zur Zwangsterilisation und zur Euthanasie liegen beim Amtsgericht. Ich wurde im nahegelegenen Krankenhaus sterilisiert. Dass ich nicht wie andere in eine Anstalt überführt und dort umgebracht wurde, hing wohl mit der Stellung meines Bruders zusammen."
Ein Leben am seidenen Faden. In einem lebensgefährlichen Kreislauf: mit seiner Erkrankung sollte er unauffällig bleiben. Dafür braucht er Medikamente, die schwer zu bekommen und teuer sind. Genügend Geld kommt nur über Flüchtlingstransporte herein. Und schlußendlich braucht es eine schlüssige Antwort auf die Frage, wo ein Mensch, der von der Herstellung von Bienenprodukten lebt, denn soviel Geld her hat.
Man muss sich einlassen können auf den Stil dieses Romans. Und man braucht Ruhe und Zeit. In einer hektischen Umgebung und halb abgelenkt gelesen, entfaltet sich der Zauber dieses stillen Buches nicht. Dann wirkt der Text dröge und ereignislos. Nimmt man sich jedoch die Zeit und folgt Arimonds mäandernden Gedankengängen, dann liest man einen Text, der in seiner schlichten Schönheit und stillen Eindringlichkeit noch lange nachhallt.