Rezension

Das Vermächtnis

Scythe - Das Vermächtnis der Ältesten - Neal Shusterman

Scythe - Das Vermächtnis der Ältesten
von Neal Shusterman

Bewertet mit 4 Sternen

Das Scythetum hat unter der Führung von Scythe Goddard eine neue Ordnung, und damit sind die Regeln von Leben und Tod neu aufgestellt. Der Thunderhead ist stumm, und die scheinbar perfekte Welt wird vom Schatten der Macht heimgesucht.

„Scythe. Das Vermächtnis der Ältesten“ ist der finale Band von Neal Shustermans Scythe-Trilogie. Grundlage des Geschehens ist die Vollendung des menschlichen Seins - im biologischen Sinn. Umfassendes Wissen, unerschöpflicher Wohlstand und ewiges Leben garantieren eine Existenz auf höchstem Niveau - wenn der naturgegebene Hunger nach Macht nicht wäre. 

Ewiges Leben bedeutet Überbevölkerung. Um das zu verhindern, treten die Scythe auf den Plan. Ein Scythe ist der personifizierte Tod. Scythe sind Menschen, die berufen sind, den Tod zu geben, um im Endeffekt Leben zu schenken.

Während der ersten beiden Bände verfolgt der Leser den Werdegang eines Scythe. In Band 1 treten Citra und Rowan ihre Lehre als moderne Sensenmänner an. Im zweiten Teil wird die Philosophie des Scythetums auf den Kopf gestellt, und in diesem Abschlussband steuert die Menschheit eine neue Epoche an. 

Ich bewundere Neal Shusterman für seine schonungslose - brutale - Fantasie. Er bedient sich aktueller Entwicklungen aus Wissenschaft, Technik und Gesellschaft, lässt eine Utopie erstehen, nur um sie letztendlich auf die dunkle Seite zu drehen. Schockierend, gnadenlos und imposant wendet er den Spieß. Er zeigt dem Leser, dass selbst die schönsten Fortschritte vor der Niedertracht des Menschen in die Knie gehen.

In „Scythe. Das Vermächtnis der Ältesten“ nimmt der Leser eine distanzierte Sicht auf das Geschehen ein. Der Autor hält Abstand, setzt das Gesamtbild in Szene und ermöglicht dadurch, die Konsequenzen in ihrem epischen Ausmaß zu begreifen. Auf diese Weise offenbart sich Steinchen für Steinchen ein Mosaik, das mir zu guter Letzt den Atem geraubt hat. 

Nebeneffekt dieses Stils ist, dass ich nicht wie gewohnt in die Handlung eintauchen konnte. Die Nähe zu den Figuren, zu ihren Gefühlen und ihrem Erleben hat mir gefehlt. Zwar lässt der Autor manchmal kleine Einblicke zu, dennoch gibt er der Vollendung dieses Werks in seinem Gesamtausmaß den Vorrang - was teilweise das Lesevergnügen hemmt. 

Dementsprechend fand ich manche Stellen zäh, weil sich der Sinn der Ereignisse nicht erschloss. Teilweise hatte ich das Gefühl, dass nichts geschieht, was sich am Ende als gewaltiger Irrtum herausstellt. 

Der Abschluss ist großartig, genial und dermaßen atemberaubend eingefädelt, dass ich selbst nach der Lektüre Gänsehaut am Rücken fühle. Die Entwicklungen und der Ausgang der Trilogie hallen nach, regen das Gedankenkarussell an und machen sogar ein bisschen Angst, was meiner Meinung nach eindeutig für das Gesamtwerk spricht.

Außerdem greift Neal Shusterman zwischen den Zeilen eine wichtige Frage auf. Wozu leben wir? Welchen Sinn hat die Existenz, egal ob sie begrenzt oder ewig ist? Gleichzeitig liefert er zumindest für mich die Antwort mit: Ich denke, es ist die Freude, die wir erfahren, egal ob wir sie selbst erleben oder anderen geben.

Alles in allem ist Shustermans Scythe-Trilogie eine der besten Dystopien, die ich jemals gelesen habe. Einerseits verspielt jugendlich, andrerseits schockierend ernst, diskutiert der Autor anhand einer packenden Handlung die Grenzen des menschlichen Seins, und inwiefern es sinnvoll ist, wenn eine ganze Spezies dem Tod entrinnt. 

Wer bereits die ersten beiden Bände kennt, wird zwar die Spannung der Nähe vermissen, dennoch mit einem epischen Ausgang belohnt werden. Und wer die Zunft der Scythe noch kennenlernen will, dem darf ich aufregende und nachdenkliche Stunden mit Shustermans Version des Todes wünschen. Empfehlung.

Die Trilogie:
1) Scythe. Die Hüter des Todes
2) Scythe. Der Zorn der Gerechten
3) Scythe. Das Vermächtnis der Ältesten