Rezension

Das Wunderkind und der Staatsfeind

Legend 01 - Fallender Himmel - Marie Lu

Legend 01 - Fallender Himmel
von Marie Lu

*Worum geht's?*
June ist das Wunderkind der Republik. Sie hat es als einzige geschafft, den großen Test, dem sich jeder Bürger mit zehn Jahren unterziehen muss, mit der vollen Punktzahl zu bestehen. Sie ist hochbegabt, intelligent und topfit. Ihr steht eine große Karriere bevor. Doch dann wird ihr der Boden unter den Füßen weggerissen: Bei einem Militäreinsatz kommt ihr geliebter Bruder Metias ums Leben. Der Mörder ist schnell entlarvt. Es war Day, der meistgesuchte Kriminelle der Republik, der June ihre letzte Bezugsperson entriss. Von Rachsucht geplagt, beginnt sie ihre Karriere beim Militär und wird sofort damit beauftragt, Day ausfindig zu machen. June ist fest entschlossen, den Tod ihres Bruders zu vergelten und seinen Mörder an das Regime auszuliefern. Doch als sie Day tatsächlich aufspürt und sein Vertrauen gewinnt, lernt sie, die Welt aus anderen Augen zu betrachten. Er ist nicht der heimtückische Verbrechen, für den ihn alle halten, sondern ein gerechter und fairer junger Mann, der für das Gute kämpft. Plötzlich beginnt June zu zweifeln. Sie erkennt, dass das, woran sie ihr ganzes Leben lang geglaubt hat, bloß eine perfide Lüge des Regimes ist... Aber an was kann sie noch glauben - und wem kann sie vertrauen?

*Kaufgrund:*
Dystopien. Mittlerweile gibt es so viele, aber ich kann noch immer nicht genug von ihnen bekommen. Deshalb musste auch "Legend - Fallender Himmel" unbedingt einen Platz in meinem Regal finden.

*Meine Meinung:*
"Legend - Fallender Himmel", der Debütroman von Marie Lu, wird von vielen Pressestimmen als Lesehighlight angepriesen. "Legend" sei eine wahre Legende unter den Dystopien, heißt es. Kein Wunder also, dass ich bereits vor dem Lesen große Erwartungen in diesen Trilogieauftakt gesteckt habe. Ich habe gehofft, endlich ein Buch gefunden zu haben, das in der stetig wachsenden Masse der Dystopieromane mit innovativen Ideen und Kreativität herausstechen und überzeugen kann. Nicht nur ich liebe die erschreckenden Zukunftsideen, doch langsam, aber sicher springen zu viele Autoren auf den beliebten und erfolgreichen Zug auf - und die Erwartungen von uns Lesern steigern sich mit jedem verschlungenen Buch. Gespannt, ob "Legend - Fallender Himmel" seinen Lobeshymnen gerecht wird, begann ich mit dem Lesen...

… und wurde sofort überrascht. Statt mit einem spektakulären und imposanten Start augenblicklich die Spannung auf ein hohes Level zu setzen, beginnt Lu ihre Geschichte sehr ruhig, zaghaft, beinahe ein wenig zurückhaltend. Die Autorin hat sich bewusst gegen einen nervenaufreibenden Anfang entschieden, um sich erst einmal genügend Zeit für ihre Leser nehmen zu können. Lu möchte sie nicht ins kalte Wasser werfen, sondern ihnen die verschiedenen Charaktere und ihre Zukunftsidee ausführlich erläutern, ehe die eigentliche Handlung beginnt. Leider bleiben trotz ihrer Beschreibungen viele Fragen - besonders bezüglich des Herrschaftssystems - offen. Die Charaktere jedoch können dank ihrer Persönlichkeiten das Interesse des Lesers auf sich ziehen und somit auch die Neugierde wecken, die zum Weiterlesen zwingt.

Ab der Hälfte des Romans beginnt die Handlung, endlich an Spannung aufzubauen und Tempo in die Geschichte zu bringen. Die Ereignisse überschlagen sich, Geheimnisse werden entdeckt und die lang geglaubten Wahrheiten entpuppen sich als klug inszenierte Lügen. Für Neulinge in diesem Genre wird all das für schlaflose Nächte sorgen, während Vielleser die ein oder andere Entwicklung oder Aufklärung sicherlich schon erahnen konnten. Aber egal, ob geübt oder nicht: "Legend - Fallender Himmel" reißt jeden Leser mit und kann gut unterhalten. Man möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht - sei es nun, um zu erfahren, ob man mit seinen Vermutungen richtig lag, oder um von einer unerwarteten Wendung überrascht zu werden. Marie Lus Debüt sorgt für vergnügliche Lesestunden und das ist die Hauptsache!

Die Welt, in der June und Day leben, ist brutal und schonungslos. Daraus macht Marie Lu auch keinen Hehl. Es gibt eine Menge schockierender Szenen, in denen viel Blut fließt, in denen Menschen gequält werden, in denen unzählige unschuldige Menschen sterben. Erbarmungslos werden diejenigen hingerichtet und getötet, die sich nicht an die Regeln gehalten haben und rebellisch geworden sind. Gewaltverherrlichend sind diese Momente in keinster Weise, trotzdem sollte "Legend - Fallender Himmel" nicht in zu junge Lesehände geraten.

June ist die weibliche Protagonistin des Romans. Mit ihren jungen fünfzehn Jahren hat sie bereits das geschafft, wovon viele andere bloß träumen können: Sie hat ihr Studium abgeschlossen, fast vier Jahre früher als üblich, und eine vielversprechende Karriere beim Militär begonnen. Dies ist dem selbstsicheren Mädchen aus gutem Hause mit Leichtigkeit gelungen, denn June ist hochbegabt. Sie ist das Wunderkind der Republik, die einzige, die den großen Test jemals mit der vollen Punktzahl bestand. Dabei war ihr bisheriges Leben alles andere als leicht und auch der Grund für ihren frühzeitigen Einstieg ins Militär ist nicht sonderlich erfreulich: Erst verlor sie bei einem tragischen Unfall ihre beiden Eltern, dann wurde auch noch ihr geliebter Bruder bei einem Einsatz getötet. Nun soll sie den Mörder ausfindig machen - Day. Von Rachsucht getrieben, scheut sie vor keiner noch so gefährlichen Aufgabe zurück, um den Tod ihres Bruders zu vergelten. Obwohl June mit ihrer aufmüpfigen, ehrlichen und tapferen Art eigentlich eine sehr ansprechende Hauptfigur ist, dauert es sehr lang, bis man einen Draht zu ihr aufbauen kann. Ihre Trauer sorgt dafür, dass sie zunächst niemanden an sich heran lässt - auch den Leser nicht. Sie fixiert sich völlig auf Day und bemerkt dabei nicht, dass in der Republik nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Erst als sie ihre Scheuklappen abnimmt und beginnt, die Wahrheit zu entdecken, wird sie für den Leser zugänglich. June ist es wert, dass man ihr diese Zeit gibt, aber ein paar mehr Ecken und Kanten hätten ihr gut gestanden.

Day, ebenfalls fünfzehn Jahre alt, ist der männliche Protagonist und der meistgesuchte Kriminelle der Republik. Er ist durch den großen Test gefallen und hätte eigentlich in einem Arbeitslager enden sollen, aber ihm ist die Flucht gelungen. Seitdem lebt er inkognito auf der Straße und kämpft dort ums Überleben. Es ist allerdings nicht sein eigenes Leben, das er zu sichern versucht, sondern das seiner Familie und anderer hilfloser Menschen, die dringend Unterstützung brauchen. Day ist quasi ein moderner "Robin Hood", der von den Reichen stiehlt, um es den Armen zu geben. Sein Lebensstil hat ihn dazu gezwungen, schon in jungen Jahren erwachsen, vorsichtig und sorgfältig zu werden. Er ist ein liebenswürdiger Charakter, den man aufgrund seines guten Willens schnell ins Herz schließt.

June und Day erzählen die Geschichte aus der Ich-Perspektive und wechseln sich dabei kapitelweise ab. Während die Kapitel aus Junes Sicht sehr prägnant, präzise und detailgetreu geschildert werden - ihre militärische Erziehung und Ausbildung kommt auf diese Weise sehr gut zur Geltung -, sind Days Abschnitte nachdenklicher und emotionaler. Auch ihm entgeht kein Detail, schließlich muss er darauf achten, unentdeckt zu bleiben, doch er hört bei seinen Entscheidungen auf sein Herz und nicht auf Befehle, wie June es zu tun pflegt. Deshalb fällt es einem als Leser zu Beginn leichter, mit Day zu sympathisieren, als mit der distanzierten und akkuraten June.

Die aufkeimende Beziehung zwischen Day und June hat mir leider gar nicht gefallen und für viel Unmut gesorgt. Bis zum Schluss wollte ich mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, die beiden als "legendäres Pärchen" zu bezeichnen. Sie sind zwei völlig gegensätzliche Figuren, die sich im Team sicherlich gut ergänzen - aber muss es denn sofort Liebe sein? June und Day finden mal wieder viel zu schnell gefallen an einander und vergessen dabei sogar ihre Prinzipien. Während Day nach fünf Jahren strengster Vorsicht urplötzlich vergisst, misstrauisch zu sein, fängt June tatsächlich wegen den schönen Augen des Mörders ihres eigenen Bruders an, an der Republik zu zweifeln. Die Beziehung der zwei Protagonisten wirkt nicht nur unglaubwürdig, sie lässt auch Day und June als einzelne Charaktere schwächer und einfältiger erscheinen. Schade, eine langsam wachsende Freundschaft zwischen den beiden hätte sicher besser funktioniert...

*Cover:*
Dezent und einfach, aber treffend! Auf schlichtem, aber eindrucksvollem Weiß ist im imposanten Gold das Zeichen des Militärs zu sehen, das in "Legend - Fallender Himmel" eine wichtige Rolle spielt. Ein großes Lob an die Grafiker, die aus einem einfachen Zeichen ein Hingucker-Cover gezaubert haben. Weniger ist eben doch mehr!

*Fazit:*
"Legend - Fallender Himmel" ist ein aufregender Trilogieauftakt, der die hohen Erwartungen nicht gänzlich erfüllen kann. Innovative Ideen gibt es kaum, dafür sind die altbekannten Dystopie-Elemente einprägsam und interessant umgesetzt worden. Marie Lu lässt nicht selten das Blut spritzen, um ihre Leser zu schocken! Auch die einzelnen Charaktere können mit ihren Persönlichkeiten und ihren Entwicklungen überzeugen. Bloß der romantische Part der Geschichte konnte mich bis zum Schluss nicht begeistern. Insgesamt bekommt "Legend - Fallender Himmel" deshalb schwache 4 Sterne.