Rezension

DDR online

Hashtag #DDR -

Hashtag #DDR
von Holger Kreymeier

In "Hashtag #DDR" wagt Holger Kreymeier ein Gedankenexperiment, das sicher schon so einige von uns unternommen haben: Wie würde die DDR aussehen, wenn sie heute noch existieren würde? Und wie würde sie vor allem das Internet handhaben? In Kreymeiers Realität dreht sich da vor allem um ein brisantes Video des westdeutschen YouTubers Lonzo, das die Missstände um die Verhaftung des DDR-Online-Aktivisten Perry aufdeckt. Aus verschiedenen Perspektiven verfolgen wir nun die Ereignisse, die "der Zerstörung der DDR" folgen.

Das Gute zuerst: Man merkt, dass sich der Autor hier wirklich einige Gedanken gemacht und vor allem gut recherchiert hat. So kam mir seine Vorstellung einer DDR 2023 durchaus plausibel vor. Ähnlich wie es heute z.B. in China ist, gibt es zwar Internet, dieses ist aber stark eingeschränkt und überwacht. Es gibt DDR-Pendants zu den bekannten Plattformen, aber trotzdem schaffen es viele Bürger durch VPNs, sich in das West-Internet zu wählen. Besonders witzig fand ich die Idee, dass das DDR-Fernsehen Imitate beliebter Reality-Shows macht, in denen aber ausschließlich sozialistische Werte vermittelt werden sollen.

Leider war das Buch von einer Sache geplagt, die ich bei kleineren Sci-Fi- und Fantasy-Autoren leider oft beobachte: Es gibt einen Haufen gute Ideen, der Schreibstil lässt aber extrem zu Wünschen übrig. Ständig hatte ich das Gefühl, dass mir sowohl der Erzähler als auch die Figuren eine Wikipedia-Seite vorlesen. Bestes Beispiel: Lonzo ist offensichtlicherweise dem YouTuber Rezo nachempfunden. Man kann von seinen Inhalten halten, was man will, aber ich denke, eine Sache, die Rezo auszeichnet, ist seine Sprache, die von extrem vielen Anglizismen und Jugendslang durchdrungen ist. Wenn man sich unbedingt über ihn lustig machen will, wäre doch der offensichtlichste Weg, genau diese Sprache zu imitieren. Stattdessen redet Lonzo ständig wie ein Schulbuch. Da hilft es auch nichts, wenn man ab und zu mal "cringe" und "digga" (an den falschen Stellen wohlgemerkt) einfügt.

Im Laufe der Geschichte hatte ich außerdem immer mehr das Gefühl, dass es weniger um die doch wirklich fantastische Grundidee sondern immer mehr darum ging, über YouTuber abzuziehen. Wenn man sich mit der Vita des Autors etwas auseinandersetzt, ist das nicht allzu überraschend, und sicher gibt es an der Influencer-Kultur so einiges zu kritisieren. Trotzdem nahmen die Witze (?) über Sponsorings und Followergeilheit irgendwann so Überhand, dass es gefühlt gar nicht mehr um die DDR-Storyline ging. Echt schade, dass manche Menschen es 2023 immer noch nicht verstanden haben, dass YouTube für viele eine legitime Unterhaltungs- und Informationsplattform geworden ist.

Den Rest gab mir ein Handlungsstrang einer weiblichen Figur, die einzig und allein dazu eingeführt wurde, dass sie ihren Cousin verführen sollte. Gerade in diese Geschichte hatte ich anfangs viel Hoffnung, da sie echt Potenzial hatte, aber am Ende wurde es einfach nur eine altbackene und dazu noch ziemlich ekelhafte Trope.

Wirklich sehr schade, ich war von der Grundidee sehr begeistert, leider haperte es hier an der Umsetzung.

P.S. Kann mir bitte jemand erklären, warum die Flutkatastrophe im Ahrtal in einer Realität, in der die DDR noch existiert, deutlich weniger Opfer gefordert hätte? Das war eine absolute Randinformation, aber sie hat mich so rausgeholt, dass sie mich das ganze Buch über beschäftigt und leicht aufgeregt hat.