Rezension

De Vigans bislang schwächstes Buch

Dankbarkeiten - Delphine de Vigan

Dankbarkeiten
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 3 Sternen

Michka verliert jeden Tag: Wörter, aber nicht ihre Erinnerung. Auch in körperlicher Hinsicht macht ihr das Alter zu schaffen – ebenso wie die Einsamkeit, die auch die junge Marie – eine Art Ziehtochter – nicht völlig vertreiben kann. Abwechslung bildet der Besuch des Logopäden Jeromé, der Michka so gut es geht dabei hilft, dass der Sprachverlust so langsam wie möglich vonstattengeht.

Dankbarkeiten schont den Leser nicht mit schweren Themen: Altern, Demenz, Nationalsozialismus, Verlassenwerden, Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit – all das bringt Delphine de Vigan auf nur etwa 160 Seiten zum Ausdruck. Insgesamt ist die Stimmung des Romans sehr traurig, selbst die eigentlich erfreulichen Dinge wie Schwangerschaft bekommen einen düsteren Unterton.

Gut hat mir bei dem Roman die feine, klare Sprache gefallen. Mit nur wenigen Worten gelingt es dem Leser so, die Emotionen und die körperliche Verfassung der Protagonisten nachzuvollziehen. Auch fand ich es sehr beeindruckend, wie gekonnt die Autorin die zunehmende Aphasie von Michka sprachlich dargestellt hat.

Trotz der sprachlichen Feinheit und der an sich sehr interessanten Hauptstory, könnte mich der Roman jedoch nicht völlig überzeugen: Ich bin eine großer Fan von Delphine de Vigans Romanen: Trotz der geringen Seitenanzahl gelingt es ihr, dass der Leser tief in die Geschichte eintaucht und für kurze Zeit völlig mit den handelnden Personen „mitlebt“ und diese intensiv begleitet. Das ist leider bei Dankbarkeiten nicht der Fall: Die Perspektiven wechseln viel zu schnell, die ganze Handlung bleibt trotz des ernsten Themas irgendwie sehr oberflächlich. Auch die Geschichte mit dem Ehepaar, die Michka als Kind bei sich aufnahmen und deren plötzliches Wiederfinden, ist sehr konstruiert und wirkt etwas gewollt. So ist beispielsweise Loyalitäten um Welten besser!