Rezension

Dem Künstler ein Kunstwerk gewidmet.

Max - Markus Orths

Max
von Markus Orths

Bewertet mit 5 Sternen

Totale Begeisterung! Von dem Autor muss ich noch mehr lesen. Ich kannte ihn vorher nicht.

Markus Orths ist ein exzellenter Autor. Ein guter Beobachter. Selber ein Künstler. Ich mag die Perspektive, die er seinem Roman über Max Ernst gegeben hat.

„Meisterhaft“ ist das Wort, das ich am häufigsten brauche beim Lesen, aber ich bin auch „überfüttert“ durch Orths Stil, der einfach zu üppig als eigene Kunst in die Erzählung wuchert, so dass ich fluche und das Buch weglege, nur, um im nächsten Kapitel wieder eingesogen zu sein, gerade von diesem Stil, der dann wieder phanömenal-meisterhaft hinpasst.

Im einzelnen:
Max Ernst (1891 bis 1976) ist ein Ausnahmekünstler. Von Anfang an. Es dauert nicht lange, da löst er sich von den Konventionen, die sein religiöses Elternhaus ihm auferlegen. Natürlich hat seine Abkehr Konsequenzen.

Wie alle großen Künstler lebt Max Ernst hingebungsvoll für seine Kunst, die jede Energie, die er zur Verfügung hat, frißt. Was an Emotionalität übrig bleibt, schenkt er den Frauen, mit denen er zusammenlebt, aber es ist ein Wechselspiel der Emotionen, er frißt und saugt auch die ihren auf. Er schöpft aus der Kraft seiner Imagination und aus dem Eros, der Lust, die er hemmungslos auslebt, auch auf Kosten anderer. Er ist wie eine Spinne, die ihre Opfer zufällig auswählt, sich an ihnen gütlich tut und sie dann fortwirft, wenn sie ausgesogen sind, nicht mehr funktionieren, nicht mehr tauglich sind. Dazu passt, dass Maxens Frauen jünger sind als er, sie werden immer jünger, blutjung sogar; obwohl selber exaltiert und überspannt, sind sie doch lebensunerfahren und lassen sich von Max prägen und zerstören.

Anhand von sechs unterschiedlich langen Abschnitten, anhand von sechs Frauenbildern, porträtiert der Autor den Maler Max Ernst. Wie in einem Spiegel sieht der Leser den Mann und Maler Max, leicht verzerrt durch die Augen seiner Liebschaften. Selten sehen wir den Menschen Max Ernst direkt. Um so mehr erfahren wir über die Frauen, die mit Max Ernst lebten, ihm regelrecht verfielen, über Lou, Gala, Berthe-Marie, Leonora, Peggy, die ein bisschen aus dem Rahmen fällt und schließlich Deborah.

Es ist eine Zeit des Aufbruchs, die Wirren der Zeit bedingen, ermöglichen und erzwingen die Abkehr vom Gegenständlichen, vom Normalen. Der Dadaismus, der Surrealismus brechen Krusten auf, die Kunst, die Kunstszene, alles verändert sich.

Max Ernst hat ein aufregendes, großes Leben gelebt, eines, das er sich vielleicht nicht ausgesucht hätte, hätte er wählen können. Denn wer will zwei Weltkriege hautnah miterleben, wovon einer ihm erbitterter nach dem Leben trachtet als der andere. Schließlich, inzwischen ausgewandert, geflüchtet, ausgebürgert, in seinem sechsten Lebensjahrzehnt findet er doch noch ein Ausruhen vom ständigen Getriebensein, dem echten wie dem vermeintlichen, findet er ein tragfähiges Zuhause, wie könnte es anders sein, in den Armen einer Frau.

Markus Orths hat einen einzigartigen, wunderbaren, ergreifenden, exzellenten und ausgefeilten biografischen Roman geschrieben, eingebettet in die Zeitgeschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts. „Max“ ist keine reine Biografie, es ist einiges erfunden, dennoch ist „Max“ ein „wahrer Roman“, der einem die Tränen in die Augen treibt, der einen nicht loslässt, sobald man ihn zur Hand genommen hat, dessen eigenwilliger Stil ihn selbst zu einem Kunstwerk macht. Exzellent und meisterhaft sind Worte, die ihn kennzeichnen!

Orths größtes Verdienst sind die Szenen, in denen es um „verrückte Kunst“ geht. Denn ehrlich, wer kann die kraftvollen Werke des Dadaismus und Surrealismus wirklich „schön“ finden? Markus Orths kann einem nahebringen, was es damit auf sich hat. Und so bekommt man einen Zugang zu den Verrückten, den Künstlern, und den Verrücktheiten, den Kunstwerken. Moderne Kunst kann man verstehen!

Diejenigen Leser, die nicht ganz zuhause sind im Kunstgeschehen des 20. Jahrhunderts, werden manchmal nicht zwischen Erfundenem und Geschehenem unterscheiden können: das ist die Kritik, denn ganz ohne Kritik geht es nun einmal nicht.

Fazit: Roman über die Kunst, der selber Kunst ist: ein Kunstwerk dem Künstler Max Ernst gewidmet, eine biografische Nachzeichnung ohne Kinkerlitzchen, Kitsch und Karikatur. „Max“ von Markus Orths muss man gelesen haben!

Mein Lesehighlight 2017.

Kategorie: Biografischer Roman
Verlag: Carl Hanser, 2017

Kommentare

sphere kommentierte am 02. Dezember 2017 um 09:29

"„Max“ von Markus Orths muss man gelesen haben!"

Ok, ok, verstanden, wird erledigt. 

:)

Emswashed folgerte am 02. Dezember 2017 um 13:06

Alle drei Rezensionen, obwohl in ihren Ansätzen unterschiedlich, überschlagen sich des Lobes. Wie könnte man da nicht gezwungen sein, mal einen Blick hineinzuwerfen. Allein, ich müsste in die Beschaffungskriminalität rutschen, um dem nachzukommen. (Oder ich erneuere einfach mal den Bibliotheksausweis.)

Steve Kaminski kommentierte am 04. Dezember 2017 um 14:25

Beschaffungskriminalität! Oh je! Da sieht man, wohin einen WLD treibt - ohne es zumindest ein bisschen durch Prämien aufzufangen. - Ob aber nicht die Erneuerung des Bibliotheksausweises der bessere Weg wäre?

Giselle74 kommentierte am 02. Dezember 2017 um 17:43

Ich stimme zu. Definitiv auch mein Lesehighlight 2017!

Steve Kaminski kommentierte am 04. Dezember 2017 um 14:28

Eine intensiv geschriebene Rezi, die einem das Buch und sein Thema wirklich nahebringt.