Rezension

Denk nicht an Blut. Denk an Feuer! Wenn die Stimme versagt, sich ein Flüsterhauch zum Orkan erhebt…

I am Elektra -

I am Elektra
von Christian Handel

Bewertet mit 4 Sternen

Absolutismen können durch fusionierte Denkweisen aufgebrochen werden. KURZFASSUNG: Hochgradig technisierte Nahzukunftswelt, in der geklonte Menschen lediglich einen Zweck erfüllen und jederzeit austauschbar sind. Was genau hat Priamos vor, denn er hütet ein Geheimnis, welches der wahre Grund für all sein langgeplantes Handeln ist. Leben geht weiter, weil ein anderes zu Ende gegangen wurde. Das ist Elektra egal. Emotionslos den Klonen gegenüber erkennt sie eines Tages sich selbst nicht mehr im Spiegel wieder… und entdeckt eine angsteinflößende Nachricht in ihrem ehemaligen Tagebuch… Wer hat sie ihr hinterlassen? Steht nun ein für alle Mal ihre Existenz auf dem Spiel?

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Auch wenn sich hinten im Buch ein hervorragendes "Was bisher geschah" befindet, empfehle ich unbedingt beide Bände hintereinander zu lesen! Außerdem würde man sich ja ohne den ersten Nearfuture-Thriller einen fulminanten Auftakt entgehen lassen. Die folgende Rezension zu Band 2 enthält Spoiler, v.a. für diejenigen, die den Vorgänger noch nicht kennen!

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62 Jahre in der Zukunft - die erst mal gar nicht so düster ausschaut, denn von Klimawandel, Naturverschmutzung und Umweldzerstörung, Kriege oder Katastrophen ist keine Rede. Es gibt proppe Wälder und weiter Honig, Menschen können sich ohne Masken nicht nur im Freien aufhalten, Magnetschwebefahrzeuge bestimmen das Verkehrsnetz, Tierschutz wird großgeschrieben. Obendrein ist optimale medizinische Versorgung garantiert…

… - und krank wie pervers: Transplantationen von Organen (sowie Extremitäten, Knochenmark, Hornhaut) sind seit 24 Jahren keinerlei Hindernis mehr in der Neuen Union [ehemalig EU], erlaubt bislang weltweit der einzige Staatenbund doch menschliches Klonen.

Genügend Nachschub lebenden Materials steht demnach in abgeschotteten Instituten (Internat und Gefängnis zugleich) auf Abruf: als Ersatzteillager-auf-zwei-Beinen, zum Ausschlachten, dafür werden die genetisch exakten Kopien gezüchtet – die so viel mehr sind als nur biologische Zwillinge und Spiegelbild des Menschen! Und dies ein easy-peasy Luxusartikel nicht mehr nur für die Reichsten der Reichen, das Klonen soll bald für die breite Masse erschwinglich werden…

 

Im Jahr 2083 sind auch für die 17jährige blasierte Party-Queen Elektra Hamilton, als Mitglied einer der einflussreichsten Familien der NU, Klone verfügbar. Als sie eines Tages mit unsäglichen Kopfschmerzen, unerklärlichen Blackouts und einem seltsamen Körpergefühl erwacht, hält sie alles nur für einen Hangover? Aber, Moment mal, sie scheint gar nicht zu wissen, dass sie vor 3 Monaten ermordet wurde?! Wer schaut sie da aus dem Spiegel an, und, wird sie diesmal um ihr Leben fürchten müssen?

Die anstehende 2. Phase des Klonprogramms wird ihren Vater und Initiator Priamos Hamilton, endgültig in den Olymp der Unsterblichkeit erhöhen, denn Bewusstsein & Erinnerungen eines Menschen in Klonkörper zu transferieren verspricht Ewiges Leben und Jugend… wäre da nur nicht die Sache mit… der fühlenden Seele… und sie will ihren Platz in der Welt.

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Christian Handel ist der unerbittlichen Nachfrage seiner Fans von „BECOMING ELEKTRA – Sie bestimmen wer du bist“ nachgekommen.

Der 2. Band „I AM ELEKTRA – Dein Leben ist mein“ schließt nahtlos an seinen Vorgänger an und lässt manch Lesers Vorahnung Wirklichkeit werden. Während es in Bd.1 um Doppelgänger und vertauschte Identitäten ging, wollte er es hier auf die Spitze treiben, wie er es auf Lovelybooks verriet. Und DAS ist ihm fürwahr gelungen mittels eines sensationell choreographierten und sich aufschraubenden Perspektiventanzes:                                                          

Ein sich regelmäßiges Abwechseln zweier Ich-Perspektiven in einer Spirale aus Kampf um Dominanz und Kontrolle, wobei aber Denken, Fühlen, Handeln nicht übernommen, noch dirigiert werden. Das Ganze ist durchwirkt mit aufflammenden Erinnerungsfragmenten wie Empfindungen. Ein besonderer Clou dabei: Elektras eigenes schlechtes Gewissen erhebt sich aus dem Unterbewusstsein(?), oder ist es doch viel mehr Kelsey, die ihr den Spiegel vorhält und sie aufrüttelt; ein Flüstern, das gleich einem mahnenden Alter Ego bei Fehlüberzeugungen Einspruch erhebt und Dinge richtigstellt. Schleichend und zum Endspurt rasant löst sich die Dichotomie in  einer eigentlich unmöglichen Konstellation auf. Christian Handel hat es verrückterweise geschafft, einem aufmerksamen Lesepublikum stets die Übersicht zu gewährleisten.

Kommt mit auf diesen schockierenden Wahnsinns-Achterbahnrausch menschlicher Abgründe, Höhenflüge & Tiefenabsturz.

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Ehedem kannte Priamos die (von ihm erschaffene) Wahrheit, dass seiner Tochters Klon Isabel offiziell als Elektra auftrat. Das tut sie hier weiterhin – allerdings bangt man nun mit der neuen ‚Protagonistin‘, ihr möge es gelingen die Wahrheit, NICHT Elektra zu sein, so lange wie möglich vor ihm verheimlichen zu können… ob ihr das gelingt?

 

Auf Priamos: „Du kannst nicht die Welt retten (…) Aber dich selbst.“ – Isabel: „Das ist nicht genug.“ (S.193)

 

Was Bd.1 und Band 2 besonders auszeichnet und allein wegen dem absolut lesenswert ist, ist das liebende Verhältnis, die innige Verbundenheit, das sich gegenseitig schützen und unterstützen, in Treue für einander da sein, die selbstlose Hingabe zueinander der beiden ‚Schwestern‘ Isabel & Kelsey (Klone von Elektra). Dies skizziert der Autor mit einfühlsamem Feingefühl in bewegender Vielschichtigkeit aus.                                                                                             Selbst, wenn sie von einander getrennt sind, ist ihr unerschütterlicher Zusammenhalt spürbar. In ihren Gesprächen und Aussprachen wird Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit gelebt. Kelseys Umgang mit ihren Vorurteilen, Enttäuschung, Zweifeln ist ein diametral anderer als der von Elektra: sie hört zu, denkt mit, und kann zwischen richtig und falsch unterscheiden, ihre Irrtümer einsehen, ist mitfühlend und verständnisvoll, will eine Stimme sein und sich aktiv zum Schutz anderer einsetzen, besonders weil es „(…)kein Wolf [ist, der] die Herde dezimiert. Es sind die Schäfer selbst.“ (S.62)

Elektra, die Echte und was für ein Original!, sollen wir nun hier, mit Band 2, kennenlernen - jedoch mMn nur nebulos (dazu nachher mehr), dafür Kelsey viel besser, was sie einem noch sympathischer werden ließ, als sie eh schon war, wenn auch in Bd.1 noch zurückhaltend, entmutigt und zerbrechlich. Christian Handel nimmt sich Zeit, ihre Traumata (u.a. die Entreißung ihrer Niere, hilfloses Ausgesetztsein, Ungerechtigkeit) mit sensiblem Bedacht darzustellen, und lässt selbst psychosomatische Kompensation nicht außen vor.                                                                                                                                                                     Besonders auffällig dabei, die Art & Weise, wie sich die sich selbst wiederfindende Kelsey so ganz anders mit dem eigenen Albtraum auseinandersetzt, als Elektra mit dem ihren. Mit tiefer Empathie ist Kels Entwicklungsprozess (von Verzagen, Hadern zu steigender Hartnäckigkeit, Kampfesgeist und Aktionismus) vom Autor in Szene gesetzt und elaboriert worden, bis hin zu wie sich Kelseys inneres Kerzenlicht lodernd zu einem flammenden Feuersturm entzündet.

 

Hier noch zur Triggerwarnung und der damit verbundenen Empfehlung, Kapitel 17 auszulassen: Dieses Kapitel ist eines DER wichtigsten und sogar mit besten im ganzen Buch (aber 42 ist auch genial, und viele weitere)! Und sollte gerade deswegen nicht übersprungen werden, denn Kelsey ist eben NICHT ihr Original und wird es Ela nicht gleichtun! Kelsey trifft eine totalitär andere Entscheidung, als vormals Elektra (noch dazu aus egoistischem Motiv) mit ‚der Überdosis‘. Da erschienen mir eher einige Einstellungen mit/von Elektra triggernd (sogar gemeingefährlich), da sie ja nicht alles richtig reflektiert und es nie in eine Entschuldigung mündet.

 

So wie sich Isabel und Kelsey einander Kraft geben, ist der ein Jahr jüngere Bruder Hektor Elektra ein Anker und nur mehr der einzige, auf den sie sich verlassen kann. Als seine Schwester liebt er sie einfach bedingungslos und ist um sie besorgt. Indes wurde nicht enthüllt, welchen Standpunkt er zu Drogen vertritt, warum er Ela nicht von ihrem Konsum abbringen hatte können, sollte er damals wirklich nichts davon mitbekommen haben? In der Zuneigung zu ihren Brüdern konnte Ela nicht den gleichen Halt finden, wie sie ihn sich Isa & Kels einander vermitteln können.

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Bereits vor ihrem Komaerwachen und der jetzigen ‚Komplikation‘ [aus Spoilergründen nicht genannt]                                                                                                      ist Elektra einem Ringen um eine selbstbestimmte Existenz ausgesetzt, welches eines der großen Themen dieser DysUtopie ist, neben dem des Bewusstseins. Was aber die eigentliche Hauptgeschichte als unterschwelligen Basistenor beherrscht: bewusst ist Ela gar nichts, nein, schon, sie verdrängt und leugnet ständig, was ihr m.u. das ‚selbstbewusst tun‘ als Verschleierung dient.         

Elektra verbrachte ihre Tage in einer Rosa-Blase voll Shopping, Partys, Alk & Junk nebst einer heimlichen, festen Affäre ab 16 mit dem Stallmeister – eine Liebe, zu der sie sich nicht offen bekannte.

Mit Glitzertinte schrieb sie vor gut 3 Jahren auf die glänzenden Seiten ihres einzigen 1-Jahr-Tagebuches, als malte sie sich ihre Welt schön; was wirklich in ihrem tieferen Gedankenkosmos abläuft, will sie sich selbst gar nicht eingestehen – und so richtig können es damit auch nicht die LeserInnen erfahren. Denn eine starke HassLiebe zu Mutter wie auch Vater brannte zunehmend in Elektra auf, obgleich sie ihre ‚Vorbilder‘ imitiert.

Ihren Einschätzungen Glauben zu schenken ist (für mich als Leserin) nie so recht möglich. Einmal sagt sie so, später dann wieder anders, und das unabhängig von ihrer ‚aktuellen prekären Ausnahmesituation‘ und ganz gewissen Gedächtnisausfällen (hinter denen eine ganz andere, traumatische Natur steckt), die nochmal ihre bereits vorhandene Zerrissenheit und Wut ob einer Aussichtslosigkeit multiplizieren. Wahrheiten stellt sie grundsätzlich infrage, sie kann sich selbst nicht trauen, weil sie sich ja etwas vormacht und im Lügengeflecht lebt. Z.Bsp. griff sie tatsächlich häufig zu Rauschgift - und nicht, wie beteuert, nur dies eine Mal.

Es ist anzunehmen (vgl.Bd.1), dass Elektra in höchst panischer Bedrängnis aus dieser falschen Welt verschied, nun in noch größerer Verzweilung und in einem noch verdrehteren Universum zu Bewusstsein kommt. Die selbstbezogene 17-Jährige wird im Folgenden das allererste Mal in ihrem Leben gezwungen, sich mit einem in Mitleidenschaft gebrachten Körper, sowie mit anderen Verletzungen und Gedanken auseinanderzusetzen als die, die einzig und allein nur um sie kreisen. Ob sie daraus lernen kann und ihr damit auch der Absprung aus dem Karussell aus Selbsttäuschung gelingen könnte? Wird sie überhaupt überleben?

Ihr bisheriges Ideal des ProMassenklonings (und ihr Sicherheitsnetz), das letzte an das sie sich jetzt noch klammern könnte, fällt nämlich auch noch in sich zusammen. Gerade dies könnte ihre Chance auf Rettung (nur für ihr Seelenwohl?) sein: Klone sind Menschen, und solche die helfen und ihr zeigen, was wirklich zählt und kämpfen bedeutet.

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Erstmal überraschend gewöhnungsbedürftigen war Elektras rotzgörige Ausdrucksweise, und ihr Gebrauch von ‚Drache‘ (anstatt Mama) - (ver)störend weil so pochend permanent, aber DAFÜR nur ultrakurz erklärend und unstimmig abgehandelt.                                                                                                                  

Elektra wolle sich von niemandem etwas sagen lassen, ihr einziges Ziel von frühester Jugend an sei, frei zu sein, was für sie bedeutet, ohne jegliche Verantwortung und Verpflichtungen leben zu müssen, wobei sie aber das Konto-Vermögen behalten will. Allerdings machen Drogen, Alk und Sex nun mal nicht erwachsen, nur die Erkenntnis über Leben und Tod, und das Begreifen darüber, was wahre, aufrichtige Liebe bedeutet.

Sie will nicht „die perfekte Tochter“ sein und sich (von Dad) bestimmen lassen, wer sie ist – aber wer ist sie eigentlich? Was genau sind ihre Ziele, Träume, Lebenspläne, für was sie sich stark macht und einsetzt bleibt unformuliert (ganz im Gegensatz zu denen ihrer Klone). Dann also alles eben nur eine endlos Party und Spaß - als Ablenkung von Vergänglichkeit (auch die des sicheren Heims & der Partnerschaft ihrer Eltern, alles eine Lüge, alles eine verkehrte, unverständliche Welt).

In ihrer anarchistischen Haltung verhält sich Ela sehr widersprüchlich (Rebellen TUN normalerweise was gegen Missstände. Sie ist da bequem, oder total verunsichert, erst in die Ecke gedrängt, läßt sie sich Entscheidungen, zu denen sie nicht fähig ist und wofür sie in Betäubungsmittel flüchtet, abnehmen. Das kann dann aber auch keine Liebe sein!). Was genau sie blockiert, eine große Klappe hat sie ja, ihr Denken und die Ärmel umzukrempeln (z.B. Marcus proaktiv zu unterstützen), wurde nicht ersichtlich [genug -- (intuitive) Angst vor dem Vater?]. Oder definiert sich für sie Initiative bereits als Streitereien mit den Eltern, und Verlogenheiten mit Lügen zu beantworten? Darin glorifiziert sie sich jedenfalls, weiterhin blind, verkennt sich gen Buch-Ende als Kämpferin (Kap.39).

Elektra wundert sich darüber, ob sie in einem „Märchen“ aufgewacht ist, sucht ihren Platz darin, denn wenn ihr „Dad offenbar der Bösewicht und Isabel die Prinzessin“ (S.133) ist, zu was macht das sie dann. Die Rolle einer Märchenprinzessin lehnte sie sowieso ab. Eine Superheldin, das will sie sein, aber nur um sich lobend selbst auf die Schulter zu klopfen, nicht um des puren, uneigennützigen Helfen willens. Sich bedienen lassen, Vergnügungen genießen, statt Einsatz zeigen, Anstrengungen aufbringen, sich dem Leben und ihren Fehlern stellen.                                                                                                                                                  Ihr Dasein ‚vor der jetzigen Misere‘ beging sie bereits als das einer Fremden, einerseits zunehmend durch ihren Dad & Mom gezwungen dazu, andererseits v.a.(!) durch ihren Eigenbetrug an sich selbst. Genauso wie ihren Klonen, aufgewachsen in einer Verwahrungsanstalt, gehört auch ihr als Original ihr Leben gar nicht, eingesperrt in einer Scheinwelt, da Ela sein möchte wer sie ist und nicht jemand, zu dem sie gemacht werden soll – läßt sie sich gleichzeitig durch Drogen und ihren Lügen ihren Charakter und ihre Liebe nehmen.

Über beide Gruppen und ihre Identität wird einfach hinweg administriert, was mit ihnen geschieht, mit dem gewaltigen Unterschied: der Klon, trotz fehlender Orientierungshilfe durch gute Eltern, verstellt sich nicht und erkennt den Wert des Lebens. Im ‚gegenwärtigen Desaster Zwangslage‘ entwickeln sich nun Klon und Mensch zu ihren gegenseitigen Gefängniswärterinnen. Fragt sich nur, wessen Gewaltzugriff sich hier wirklich entzogen werden muss – denn Strippenzieher ist doch ein ganz anderer.

 

Das immer und immer mal wieder eingestreute Herabsetzen und über andere Herziehen, Herabwürdigen verlieh zwar Elektras proletenhaften und arroganten Art Stringenz, aber lenkte enorm ab, boxte im Lesefluss raus und eine Annäherung zu ihr zurück auf Abstand. Auch hier wieder dieser Wankelmut: sie will, dass man sie lässt wie sie ist, doch selbst kann sie andere nicht lassen wie sie sind, ihnen ihre Freiheit und Individualität gönnen – Klonen allen voran.

 

Elektra ist in der rabiat radikalen Einstellung zum Lebewesen und Menschen Klon als Abfallprodukte wie ihr Vater und ganz selbst der geborene Klon zu ihm. Und dieses inhumane Weltbild zieht sich in regelrechter Penetranz durch das gesamte Buch. Warum ihr das so extrem unverrückbar intus ist (im krassen Gegensatz zu ihren Brüdern)? Hier setzt der Autor voraus, dass die Leserschaft sich selbst erklärt, dass Ela nun mal in diesem Gedankengut so aufgewachsen ist… und mit 17(!) darauf weiter herumreitet, weil sie mit ganz anderen Dingen, und dann noch mit den Auseinandersetzungen mit ihren Eltern, beschäftigt war, als mit DEM Hauptgeschäft ihres Vaters. Warum ein etabliert mörderisches System hinterfragen, was für sie nur von lebenserneuernden Vorteilen ist und ihr ein Luxusschwelgen finanziert.

Erleichterung von diesen Abschnitten mit Elektra spendeten dann immer die Umswitche zu (einer) anderen Person(en) und deren Warte.

Jedesmal wenn sich jäh um zäh erfreuliche Umschwünge aufgrund richtiger Schlussfolgerungen Elas anfingen sich abzuzeichnen, revidierte Elektra unverzüglich. So als zwänge sie sich da dann erst recht, es ja nicht zugeben zu müssen. Z.Bsp. enttäuschender Rückschritt und Sinktiefpunkt (Kap.30): nach allem, was bisher passierte, ist Dad weiterhin für sie ein „Held“, und Klone ohne Gesicht fände sie besser – Welch‘ widerwärtige Horroraussage! (erinnerte mich an den SciFi-Klassiker Das Schwarze Loch). Bei Ela ist es immer noch nicht angekommen, dass Klone Seele, Geist, Herz haben, Menschen wie du & ich sind (und   d a s  sogar 'gesichtslos' blieben!!). Elektra DARF es sich gar nicht eingestehen, da sie sonst das Anrecht auf einen Klonkörper verlöre?! Ihr Überlebenswillen ging einfach zu weit, kennt keine moralischen Grenzen. Selbst als es um die Gala-Rede geht, spielt sie mit sabotierenden Gedanken und es zu ihrem Moment zu machen.

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So wie der Vater lediglich seine Vorstellung von seinen Kindern liebt, anstatt nur sie um ihretwillen, (und sie ganz nach persönlichem Nutzen für ihn einsetzt), so tat es ihm Elektra wohl gleich, wählte dementsprechend auch Phaedre (Tochter des schwarzen Schafs der Familie), Dealer Marcus - und ihren Lover Julian aus, den sie noch nicht mal zu den vertrautesten Freunden zählte! (Und kaum ist der Totschläger tot, werden sich schon Gedanken darüber gemacht, wie es wohl mit Phillip so gewesen wäre.) Die Sehnsucht, einfach nur angenommen und, so wie sie ist, geliebt zu werden, was ihr die eigenen Eltern verwehrt hätten, könnte sie natürlich in diese verhängnissvollen Verbindungen getrieben haben. Dass Ela durch ihre langen und letzten Lügen ihrem Liebsten Julian das Herz und den Verstand brach, in den Wahn katapultierte, diskutiert sie nie.

 

Die angebliche Liebe des Vaters ist, hingegen der der Mutter, nur eine suggerierte, die eines lügenden Gauklers, weil sie nur seine eigenen Ziele heiligt (was, nach Bd.1, dem Leser in seiner Skepsis hier von Anfang an klar ist). Priamos als einen selbstgefälligen Despoten erkennt Elektra sehr wohl, jedoch insistiert sie sehr schnell, gleich einem Mantra in Endlosschleife, rigoros darauf, will alle davon überzeugen, oder nur sich selbst versichern, dass ihr Dad sie seit jeher beschütze, sie liebe, alles für sie tue. Diese abrupte Kehrtwende blieb unverständlich, bzw. war ihre Ambivalenz nicht deutlich ausgearbeitet, denn: nicht nur trägt sie ihm sein Zwangsehebetreiben gar nicht mehr so nach, sie liebt und vergöttert ihn – aber, Warum nur, wie bewies sich ihr denn diese seine Liebe? Weil er sie einmal als Kind lachend in den Pool schleuderte und ihr zweimal das Leben rettete, das soll es sein? Dabei zeigt Elektra in keiner einzigen Einstellung, Szene, dass sie überhaupt realisiert hat, noch es ihr dankbar bewusst geworden ist, ihr Leben neu-geschenkt bekommen zu haben - weil es ja so selbstverständlich ist, für was sind Klone sonst zu gebrauchen.                                                                                                                                                                                                                         Dann, als Ausrede, um den Irrsinn seiner Taten (die Genickbrüche und das, was er patentieren lassen will), vor anderen, zu billigen? – weil sie es tut!                                                                                                                                                                   

Wenigstens gesteht sie ihre Angst zu, nicht „verschwinden“ zu wollen; die vor ihrem jähzornigen Vater gibt ihr Rätsel auf, und könnte es auch dem Leser, denn es ist auch die auffällige Sprache von Brutalitäten gegen seine Tochter. Obwohl sich gerade durch Kelseys Flashbacks an eine bedrohliche Begegnung mit Mr. Hamilton (und das ist sehr interessant vom Autor verknüpft worden,) in Ela selbst Erinnerungen aufschütteln, die Ela Furcht vor ihrem Dad triggern, schiebt sie diese schwelend anwachsende Atmosphäre der Angst vor ihrem übermächtigen Vater und dem in ihm lauernden Dunklen immer wieder ab, weil sie sich nicht der Wahrheit und der der Momente vor ihrem Tod stellen möchte.                                                                                                                                             

Schauderhaft war davon abgesehen, wie gefühlskalt, abgestumpft oder abgebrüht sich zu oft Elektra gebärdete. Es wird nicht so recht klar, warum. Zeigt Elektra dann mal kurz welche, fällt es richtig auf, und doch weiß man nicht, ob einzig aus Selbstmitleid. Eine große Rolle spielt bei ihr nämlich Profilierung, Selbstbestätigungssucht statt gütiger Herzlichkeit. Aufgrund mangelnden Mitgefühls und fehlender (Eigen)Verantwortung zeugt Elektra von einer zurückgebliebenen Persönlichkeitsentwicklung und Reifungsdefiziten.

Nicht mal ihre Beziehung zu ihrem Pferd Konstantin wurde plausibel: geht es ihr dabei nur um ‚mein Besitz, darüber habt ihr nicht zu bestimmen‘, ein angenehm kuschliges Sportgerät, Hobby-Gebrauchsgegenstand. Oder, liebt sie das Tier wirklich, ist aufrichtig um es bekümmert(; die Versorgung des Tieres wurde jedenfalls immer vom Personal, oder Sabine, übernommen).

 

Für den Mordablauf an sich klaffen gewaltige Erinnerungslücken, der überraschenderweise nie (durch z.B. einen Flashback) Aufzeichnung findet; damit wird auch die Tötung an sich nicht in Elas Gedächtnis rekonstruiert, alles ist wie ausgelöscht, was für eine ‚Verarbeitung‘/Realitätsvergegenwärtigung und Elektras Seelenlage m.E. wichtig wäre.

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Elektra hat den Absprung von ihrer Ideologie geschafft. Ihre endlichen Fortschritte kamen zwar willkommen, für mich aber sehr spät und dann fast ad hoc. Noch dazu berief sich Ela bereits vorab darauf, ihrem Bruder Hektor folgezuleisten. Sehr salomonisch wurde das Ende aufgelöst, denn die Dominanz ihrer Handlungen hätte ich Ela gar nicht abkaufen können. Es war ein Kippen von einem Extrem in die nächste Radikale. Nicht im Alleingang, sondern nur mit Hilfe, erfährt sie Stärkung für ihr nicht vorhandenes Rückgrat durch ihre Schwester.                                                                                                                                                

Davon unberüht: bis ultimo Realitätsausblendung: Nicht mal die fortwährend schmerzende, allseits gegenwärtige Narbe lässt Elektra ihr Verbrechen (auch an sich selbst!) sehen - ausbleibende Läuterung, keine Reue über ihren mutwilligen Missbrauch kostbaren Lebens. Zunehmend entpuppt sich jemand ganz anderes zu oder als wahre:r Held:in ((oder sogar mehrere, inkl. Sabine)) - und dieser Verlauf ist eindrucksvoll ausgeführt! Dieser phoenixhafte Prozess mit facettenreicher Belichtung ist wunderbar gelungen.

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Erfreulicherweise sind hier weiterhin Phillip, plus Hektor, entgegen dem üblichen BadBoy-NegativCharakterschema gängiger Mainstream-Bücher figuriert:

Sie versuchen zu vermitteln, einen Ausweg zu finden und zu beschützen. Hektors deutliche Positionierung in einer Vater-Konfrontation, seine kluge Erkenntnis über ihn, sowie seine UND Phillips rasche Reaktion und Geistesgegenwart in einem besonders brisanten Moment sind beeindruckend. Davon abgesehen bemühen sich, sobald Emotionen hochkochen, beide als deeskalierende Schiedsrichter - v.a. Hektor, sonst umarmender Tröster, gegenüber seiner Schwester, um ihr Einhalt zu gebieten, sich den Fakten zu stellen.

Die Cooperation in der Clique aus Hektor, Phillip und den Klonen, sowie kurzfristig zweier nerdiger, heftiger Nebenfiguren (Aayana & Boyd - und einer Katze) ist super. Man möchte selbst ein Teil dieses Teamworks werden, um nach sämtlichen Möglichkeiten zu suchen, in allen Richtungen zu forschen, denn fortwährend zerbricht man sich selbst als LeserIn den Kopf darüber, wie eine zufrieden-stellende und faire Lösung für alle ermittelt werden könnte.

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Wie bereits in Band 1, beweist sich Christian Handel einmal mehr als begabter und aufmerksamer Kulissenkreateur und einfallsreicher Architekt mit dem Blick fürs Detail. Somit erschafft er Panoramawelten und besondere Orte, an die man sich gerne mal hinwünschen würde, noch dazu durch das Vorherrschen intakter Natur (z.B. Prometheus Lodge; Himmelsozean).

Futuristische Linie wird mit der aus dem ersten Teil beibehalten und nicht durch all zu viel Neues ergänzt, so dass die hi-technischen Vorreiter u. Gadgets eher im Hintergrund, dennoch in präsenter Dezenz liegen und vom willkommenen Wiedersehen profitieren. Überdies sind sie (abgesehen vom Klonprogramm) immer im Bereich von potentieller Machbarkeit konzipiert und vermitteln so große Authentizität.

Dass der Autor sein Klonuniversum darüber hinaus per „natürlichem Verjüngungsprozess-Hopping“ zur Dimension unendlicher Leben und der ‚Ewigen Jugend‘ up-gradet und erweitert, ist eine außerordentliche Entfächerung, die, en passant mal eben so fallengelassen, mich sprachlos zurücklies. Und, im Finale dem Ganzen als ein, zwar von Anfang an erwarteter und dennoch so rabenschwarzer Twist die Krone aufsetzt.

 

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**** F A Z I T:****

Der Kampf um das Recht zu leben… erschüttert, ist weltweiter Alltagshorror, und mit Hinblick auf Triage nochmal so hochaktuell wie nie.

Wenn man sich ständig den Gedanken entzieht – und plötzlich mit welchen unausweichlich konfrontiert wird. Über die strikte Weigerung zur Selbsterkenntnis und den Konflikt, die falsche Welt aus den Augen anderer betrachten zu müssen…

Elektra, ein Ego und eine Hauptdarstellerin, die mir zu unverständlich in ihrer so authentisch erschreckenden Oberflächlichkeit blieb, ihre Selbstreflexion zu mau, ihre VollWende zu spät und überhastet, unvollständig und dann nur im Verbund. Es fehlten mir persönlich konkrete Infos zu ihrem Werdegang, ihren Beweggründen und weiterer Ausbau ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen [zu kompakt, trotzdem mit einem unangebrachten Ausdeutungsspielplatz] – das verwehrte mir eine (womöglich sogar gar nicht beabsichtigte) Identifikation mit dieser Charaktere… die indes nur eine von vielen ist.

Ansonsten: Wirklich T-O-P! Und Leseempfehlung!!

Quintessenz:

Gefangen zwischen (Alb-)Traum und Wirklichkeit: Eine Prinzessin zu lange im Dämmerschlaf aus Flucht & Verleugnung ist endlich aufgewacht. Hoffentlich behält sie ab jetzt den Blick für die Wahrheit offen und stellt sich aktiv ihrem Spiegelbild, um sich den Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu bleiben.

Priamos Hamilton, grenzenüberschreitender Wissenschaftler und eiskalt kalkulierender Geschäftsmann, der um sein Lebenswerk bis in alle Ewigkeit weiterzuführen, wie besessen und selbstherrlich ein Alles tut - und seien es wie selbstverfreichlich experimentelle Generalversuche an seiner eigenen Tochter… und deren Schwestern!

Schöne Neue Welt: Klonprogramm 2.0.

… Bedenkenloser Machtmissbrauch, jemanden zu ersetzen und ihm schmerzlichen Schaden zuzufügen.

Die Menschen von Morgen werden immer skrupelloser - Gewissen, Verantwortung nebst verständnisvoller Kindererziehung entwickeln sich zu: Fremdwörtern! Egozentrik vs. Altruismus. Seite an Seite und im Team mit dem gleichen, hehren Ziel und dem brennendem Feuer dazu im Herzen lässt sich eine Zukunft in Frieden, Gerechtigkeit, Liebe und Menschlichkeit erringen. Und dafür ist es wert, sich einzusetzen.

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Ein Buch, das mit viel (An-)Spannung gelesen werden kann und mit massig Diskussionsstoff entlässt… großer Nachteil: der verzehrende Wunsch nach weiteren Bänden! Aber, Leser/in hat ja (überbrückende) Fantasie… …. bis zur Weiterführung der Reihe (und Verfilmung!)? Aber einerlei, für welche Geschichten sich Christian Handel bei seinen nächsten Publikationen entscheiden wird – setzt ihn auf Eure Merkliste!                           

Wer nicht davor zurückschreckt, sich mit Lektüre wichtiger u. komplexer Themen und fundamental ethischer wie moralischer Fragen auseinanderzusetzen, wer es liebt, sich Impulse um Impulse bereichern zu lassen, Theorien über Theorien aufzufalten und über Weiterentwicklungen zu spekulieren… der ist hier genau richtig.

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Bewertung: 4 Sterne