Rezension

Der Abgrund hat gute Augen!

Der Abgrund in dir
von Dennis Lehane

Bewertet mit 5 Sternen

„Der Abgrund in dir“ beginnt mit einem Schluss, nämlich mit einem Schuss, den Rachel auf Brian abgibt. Was so böse endet, kann keinen guten Start haben, denkt man. Dabei handelt es sich bei diesem Buch nicht ausschließlich um einen Thriller, hier hat der diogenes Verlag schon gut daran getan das Buch als „Roman“ herauszugeben. Es ist über lange Zeit das Psychogramm einer jungen Frau auf der Suche, nach dem Vater, nach Antworten, nach Vergebung für vermeintliches Fehlverhalten. Sehr intensiv erleben wir Rachels Gefühlswelt, ihre Zerrissenheit und Labilität. Die emotionale Leere, in die die Mutter das Mädchen Rachel laufen ließ, als sie ihr den Namen des Vaters verweigert, die Sorge des Ehemanns Sebastian, um seine eigene Karriere, als Rachel versagt, der Verlust des einen Menschen, zudem sie vertrauen aufbauen konnte, machen Rachel zu der beeinflussbaren und formbaren Person, die Brian letztlich aufbauen und trotzdem massiv hintergehen kann. Doch im letzten Drittel des Buches ändert sich die Geschichte, die Dynamik und Geschwindigkeit. Die Geduld, die langsame und stetige Entwicklung der Personen, wird jetzt auch für den Thrillerleser belohnt. Was über so viele Seiten beharrlich aufgebaut wurde, eskaliert. Plötzlich ist da Gewalt, Blut und Tod.
"Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.", wird Freidrich Nietzsche zugeschrieben. Der Abgrund in Rachels Leben hat gute Augen!