Rezension

Der Anfang dümpelt so dahin, zum Ende hin wird es spannend

Corpus Delicti - Juli Zeh

Corpus Delicti
von Juli Zeh

Bewertet mit 3.5 Sternen

Mia Holl hat ihren Bruder an ein System namens die METHODE verloren. Ihr Bruder Moritz wurde eines Verbrechens überführt, das er nicht begangen hat. Mia glaubt an die Unschuld ihres Bruders, er hat die Frau nicht vergewaltigt und getötet. Das belastende Material spricht gegen ihren Bruder, und in einer Gesellschaft, in der jeder von der Unfehlbarkeit der METHODE überzeugt ist, mutet es seltsam an, dass Moritz Holl - weiterhin seine Unschuld beteuernd - sich dem weiteren Zugriff des Systems mit einem Suizid entzogen hat.

Juli Zehs Roman spielt in einem System, in dem jeder die Pflicht zur Gesundheit hat und Krankheit systemgefährdend ist. Gesundheits- und Hygienevorschriften regeln das Leben der Menschen. Mias Trauer um den Verlust ihres Bruders wird als Depression gedeutet und darf nicht ihre Sache allein sein, sondern soll gerichtlich gesteuert werden. Mia möchte einfach nur für eine Weile in Ruhe gelassen werden, um den Schmerz zu verarbeiten. Sie bekommt den Pflichtverteidiger Rosenschneider zur Seite gestellt, der Mia zur Räson bringen soll in ihrem Irrglauben, ihre Trauer sei Privatsache und ihren Glauben an das System wiederherstellen soll. Schon bald mischt sich Kramer ein, eine Führungsperson der METHODE im Namen der Regierung. Rosenschneider gelingt eine bahnbrechende Erkenntnis in dem Fall Moritz Holl, und Mia werden methodenfeindliche Gedanken und Handlungen unterstellt und sie wird zu einer politischen Schachfigur, an der ein Exempel für die METHODE statuiert werden soll.

Ich muss sagen, dass ich mich die meiste Zeit eher unbeteiligt durch das Buch gelesen habe. Erst zum Ende hin, als Rosenschneider eine Wendung herbeizuführen in der Lage ist, wurde mein Interesse richtig geweckt, und die letzten Seiten haben mich sinnierend zurückgelassen.
Es wirkt fern und fremd, dass Gesundheit eine Pflicht und ein Standard ist in einer Welt wie unserer jetzigen, die so weit von diesem eigentlich wünschenswerten Ziel entfernt ist, das von Juli Zeh in diesem Buch so ins Gegenteil verdreht ist. Es regt zum Grübeln darüber an, was staatliche Systeme an Privatsachen noch alles zum Gegenstand öffentlichen Interesses machen könnten.