Rezension

Der Dämon des Lebens

Ein neues Blau - Tom Saller

Ein neues Blau
von Tom Saller

Bewertet mit 5 Sternen

** Das ist die Stille nach dem Tee. Wenn der Geist zur Ruhe kommt und sich ein kleiner Teil der Welt offenbart. Weil sich ein Weg aufgetan hat. Ein Weg, der vorher nicht dagewesen ist. **
Erneut beschreibt Tom Saller - dessen Debut "Wenn Martha tanzt" mich schon arg begeistert hat - das Leben einer starken, unabhängigen Frau auf der Suche nach sich selbst.

Lili ist noch ein Kind, als sie ihre Mutter durch die spanische Grippe verliert. Die Mutter Christin, der Vater Jude, hatten beide mit Religion nicht viel am Hut. Doch nun möchte Jakob, dass sie im jüdischen Glauben erzogen wird; um einer Gemeinschaft dazuzugehören. Für Rabbi Teichlmann ist Lili jedoch nicht einmal Halb-Jüdin, da dies ausschließlich über die mütterliche Linie bestimmt wird. Er ist es auch, der sinniert, ihr Name leite sich wahrscheinlich von Lilith ab. Und diese Lilith bleibt ein innerer Dämon, der sie ihr Leben lang begleiten wird....
Zuhause übernimmt Takeshi, ein Freund des Vaters und halb Japaner, halb Chinese ihre Erziehung, da Jakob oft für Monate geschäftlich unterwegs ist.
Jüdisch, Christlich, Japanisch.... alles halb, nichts ganz... Und das setzt sich in ihrem Leben und ihrer Suche fort.
Doch wenn Lili etwas auszeichnet, dann Hartnäckigkeit, sie liebt das Malen, aber ihr fehlt der Mut freie Malerin zu werden, und so verschlägt es sie nach Halle in eine Porzellanmalklasse....
Tom Saller ist es wieder einmal gelungen, mich mit einem bewegten und interessanten Leben in den Bann zu ziehen und das, obwohl ich lt. Klappentext etwas anderes, mehr auf KPM ausgerichtetes, erwartet hatte. Und das ist eigentlich das größte Kompliment.

Ruhig, feinfühlig und dennoch in sehr eindringlichen Bildern entfaltet sich Lilis Leben Schicht um Schicht. Viele Szenen verbleiben im Raum, stehen still und hallen nach, ganz intensiv. Dazu kommen noch die sehr leisen Zwischentöne ("Ein merkwürdiges Wort kommt ihm in den Sinn: Fehlgepaart."  (S.78). Ein Schreibstil, den man Stück für Stück genießen sollte, um ihn in seiner ganzen Tiefe zu erfassen.

Die Charaktere sind vielschichtig und authentisch. Geschickt verwebt Tom Saller geschichtliche Fakten mit Fiktion, die man als Leser im Anhang unter Anmerkungen und Quellen nachvollziehen kann. Das fand ich unheimlich interessant und ist mir bei dieser Art Geschichten schon sehr wichtig.

Fazit: "Ein neues Blau" berührt mit leichter Hand, doch nicht minder intensiv politische und religiöse Themen. Der Roman erzählt die berührende und interessante Geschichte der 1913 geborenen Lili Kuhn, keine Jüdin, aber mit jüdischem Vater, auf der Suche nach sich selbst.