Rezension

Der etwas andere Reisebericht

Couchsurfing in Russland - Stephan Orth

Couchsurfing in Russland
von Stephan Orth

Bewertet mit 4 Sternen

Zehn Wochen lang reist Stephan Orth von Couch zu Couch, von Moskau bis Wladiwostok, besucht unter anderem eine Diamantenmine in Jakutien, eine Datscha mitten in der Großstadt und das Dorf einer Weltuntergangssekte in Sibirien. Dabei trifft er nicht nur Putin-Versteher, Wodkatrinker und Waffennarren, sondern auch herzliche Musiker, einen intellektuellen Pedanten und die schönste Frau des Landes. Er erfährt, wie grüne Männchen auf der Krim landeten und entdeckt sogar das Geheimversteck der sagenumwobenen russischen Seele.

Neben farbigen Abbildungen ergänzen zahlreiche schwarz-weiß Fotos den Text. Jede Station hat im Buch ein eigenes Kapitel, das mit dem Ortsnamen in kyrillischer und lateinischer Schrift, der Einwohnerzahl, der Angabe des Föderationskreises und der eingezeichneten Lage auf der Russland-Karte eingeleitet wird. Besonders letzteres ist bei der Orientierung sehr hilfreich. Auf den Innenseiten der Klappenbroschur lässt sich die Reiseroute anhand der Karte in der Gesamtübersicht nachverfolgen – eine imposante Strecke, die der Autor zurückgelegt hat und von der er nachfolgend auf unterhaltsame informative Weise berichtet.

Dabei entdeckt er für sich Wahrheiten, die es immer wieder zwischendurch kurz und knapp auf den Punkt bringen:

„Wahrheit Nummer 6: Mit dem Satz ‚Das ist Russland‘ lassen sich viele Sachverhalte erklären, für die es ansonsten keine vernünftige Erklärung gibt.“ (S. 76)

Stephan Orth findet Unterschiede, entdeckt Ungewöhnliches und Kurioses. Darüber schreibt er in humorvoller Weise, oft auch mit einem Augenzwinkern, zieht aber nichts ins Lächerliche. Er lebt zu Hause bei Einheimischen, diskutiert mit ihnen über Politik, Propaganda und Pelmeni und lässt sich von ihnen ihre Welt zeigen. Von Gastgeber zu Gastgeber ergibt sich ein persönliches Bild dieses riesigen Landes. Es werden immer auch brisante Themen angesprochen und teilweise in knapper Form auch kritisch hinsichtlich der Weltpolitik beleuchtet.

Durchs Couchsurfing hat Stephan Orth die Gelegenheit mit dem ‚Mann von der Straße‘ zu sprechen und ihn in seinem unmittelbaren Umfeld zu erfahren. Hier wird zwar auch über Politik gesprochen, aber nicht politisch gehandelt. Das macht die Menschen sympathisch und ich hatte das Gefühl einen kleinen authentischen Einblick in das Land mit seinen liebenswerten Seiten und seinen Eigenheiten zu bekommen. Allerdings hätte ich an einigen Stellen gern mehr erfahren, manchmal bleibt mir der Autor zu oberflächlich.

Interessant sind auch die im Buch verteilten Info-Kästen, in denen man allerlei Zusatzinformationen finden kann, wie beispielsweise, dass es ein Waschmittel mit dem Namen „Frau Schmidt“ gibt, das zwar in Russland hergestellt wird, aber den Kunden Qualität „Made in Germany“ vorgaukeln soll. Wen wundert’s, dass auch in Russland der Verbraucher verschaukelt wird. Reizend fand ich hingegen folgendes:

„Blin bedeutet Pfannkuchen, ist aber auch ein universal einsetzbarer und irgendwie niedlicher Fluch. Ich glaube, wenn mehr Leute auf der Welt wüssten, dass Russen „Pfannkuchen!“ rufen, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht, würden sie dieses Land geopolitisch nur noch als halb so bedrohlich empfinden.“ (S. 152)

Mir hat das Lesen dieses Buches viel Freude bereitet und ich bin Stephan Orth gerne als Leser durch dieses große Land gefolgt. Ich konnte viel Neues erfahren und möchte das Buch jedem empfehlen, der daran interessiert ist einen vorsichtigen Blick hinter den eisernen Vorhang zu wagen. Abschließend möchte ich noch folgendes zitieren:

„In verschiedener Intensität hat jeder Vorurteile über andere Länder, weil die Informationen, die wir zusätzlich zu unserem Grundwissen bekommen, meistens das Außergewöhnliche beschreiben und nicht das Alltägliche.“ (S. 246)

Dem kann jedoch wie folgt abgeholfen werden... ;)

„Wahrheit Nummer 21: Man sollte mehr reisen, statt am Computer zu sitzen.“ (S. 245)