Rezension

Der etwas andere Tolkien – schneeweiß & weihnachtlich

Briefe vom Weihnachtsmann - J. R. R. Tolkien

Briefe vom Weihnachtsmann
von J. R. R. Tolkien

Bewertet mit 5 Sternen

Den Nordpol neu entdeckt durch einen Briefe verfassenden Weihnachtsmann

J.R.R. Tolkiens „Letters from Father Christmas“ oder zu deutsch „Briefe vom Weihnachtsmann“ wurde erstmals 1976 durch George Allen & Unwin veröffentlicht. Die aktuellste Ausgabe mit Originalabbildungen der Briefe und Zeichnungen publizierte der Klett-Cotta Verlag 2017. In diesem Buch zeigt sich der bekannteste Fantasy-Autor von seiner privaten Seite. Denn 23 Jahre lang schrieb er seinen eigenen Kindern Briefe im Namen des Weihnachtsmannes, der die wildesten Abenteuer erlebte. Immer dabei seine Freunde Polarbär oder das Elbchen Ibereth, die ihm beim Schreiben an die Kinder unterstützen.

Weihnachtszeit, schönste Zeit. Daher sollte auch eine stimmungsvolle Lektüre nicht fehlen. Ich stieß durch Zufall auf „Briefe vom Weihnachtsmann“, da Tolkiens Name in großen Lettern auf dem Cover mit dem rot-weiß gekleideten, bärtigen Mann zu sehen ist. Tolkien und Weihnachtsgeschichten? Der Mann, der uns mit Mittelerde, die komplexeste Welt im Fantasy-Universum beschert hat? Die Überraschung saß und der Hintergrund berührte mich. Kinder schreiben Wunschzettel und Briefe an Father Christmas seit es ihn gibt, aber selten bekommen sie eine Antwort zurück. Eine herzergreifende Idee, die den Autor nicht nur als Weihnachtsmann, sondern auch als Vater zeigen. Von 1920 bis 1943 bekamen seine Kinder um die Weihnachtszeit bunte Briefe und Zeichnungen im „Original-Nordpolumschlag“. Selbst die Briefmarken waren individuell gestaltet und abgestempelt! Wer es nicht glaubt, kann es selbst nachsehen: Im Buch wurden alle vorhandenen Briefe, Skizzen und Umschläge innerhalb der 192 Seiten abgedruckt. Das hat mir das Gefühl gegeben, selbst Post vom Weihnachtsmann zu bekommen :-) Und alles begann mit einem Brief an seinen ältesten Sohn John, der wissen wollte, wer der Weihnachtsmann wirklich war und wo er lebte. Im Laufe der Jahre wurden seine Geschwister Michael, Christopher und Priscilla geboren, so dass auch diese einzeln oder alle zusammen Briefe bekamen. Ich wurde beim Lesen in das Leben der Kinder katapultiert. Wusste, wer noch lesen und schreiben lernen würde, wer älter wurde und dem Weihnachtsmann nicht mehr schrieb, welche Wünsche herangetragen wurden und Weltereignisse wie der 2. Weltkrieg, die Dinge aus den Gleichgewicht brachten. Fasziniert wie einfallsreich Tolkien aus der Weihnachtsmannperspektive begründen konnte, dass nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann und dass man auch die kleinen Dinge schätzen lernt. Das klingt jetzt nach Moralpredigten, aber nein, so ist es nicht: Zuversicht und Tiefgründigkeit gehen dabei nie verloren. Der Weihnachtsmann berichtet kreativ von seinem Haus auf der Nordklippe, vom Krieg mit den Kobolden, die Geschenke stehlen oder vom gemütlichen Polarbären, der in Unfälle verwickelt ist. Der zuletzt Genannte schreibt und kommentiert die Briefe im übrigen mit prankenhafter Schrift und einer leichten Rechtschreibschwäche, die den Inhalt lebendig und knuffig werden lassen. Tolkien lässt nichts unversucht, damit die Briefe authentisch wirken. Weitere Beispiel ist ein eigens entwickeltes arktisches Alphabet. Man vermisst also nicht den vertrauten Touch des Autors, nur diesmal in kindgerechter Form. Der Abschluss ließ etwas Wehmut zurück. Denn wir müssen realistisch sein, jeder hört irgendwann auf dem Weihnachtsmann zu schreiben und bekommt dementsprechend keine Antwort zurück. Hier auch mein persönliches Manko: Es ist schade, dass die verfassten Briefe der Kinder nicht Inhalt des Buches waren. Das hätte den Dialog auf jeden Fall vervollständigt. Nichtsdestotrotz bin ich Dank der „Briefe vom Weihnachtsmann“ schnell in besinnliche und fröhliche Stimmung gekommen und sehe den Autor aus einem neuen Blickwinkel.

Fazit: Nicht nur für Tolkien-Fans ein besonderes Geschenk mit wunderbaren Illustrationen und Geschichten rund um den bärtigen Mann vom Nordpol.