Rezension

Der Fluch der Schokolade

Das achte Leben (Für Brilka)
von Nino Haratischwili

Bewertet mit 5 Sternen

Vier ganze Wochen bin ich durch ein ganzes Jahrhundert Georgiens gereist, immer in Begleitung eines Heißhungers auf Schokolade und einer latenten Angst vor der nächsten Seite. Dies wird keine Rezension, denn dafür hätte ich zu viel zu sagen und wüsste es viel zu wenig auszudrücken. Das achte Leben reiht sich ein in meine Bücherregalebene, in der sich Krieg und Frieden und Anna Karenina tummeln. Nino Haratischwili kann sich mit Tolstoi messen und hat das Potenzial mein neues Lieblingsbuch zu werden. In ihrem ganz eigenen modernen Erzählstil (im Vergleich zum angeführten Tolstoi vor allem) lässt sie mich Leserin teilhaben an einer Familiensaga, die voller Schmerz und Unglück in allen Generationen sich über hundert Jahre Erzählzeit erstreckt und in der mir die Figuren so ans Herz wachsen, dass ich gefühlt ein stiller Teil ihrer Familie werde, den Schmerz und die Hoffnung mit ihnen teile, enttäuscht werde, lautlos weine (in der Bahn), hysterisch schluchze (allein zu hause), ohnmächtig daneben stehe, wütend beobachte und hilflos der Handlung folge ohne eingreifen zu können. Während bei Tolstoi die Kleider bauschen und die Männer in schicken Uniformen in den strengen gesellschaftlichen Zwängen ihr Glück oder Unglück finden, schreibt Haratischwili die Geschichte im 20. Jahrhundert weiter und widmet sich dem schwierigen Thema zweier Länder, in denen der Kommunismus die Macht an sich reißt und das Motto der sozialen Gleichheit ins Absurde führt. Der große Bruder Russland bestimmt über die Geschicke Georgiens und diese Zeitgeschichte beeinflusst die Familiengeschichte in großem Maße. Vielleicht ist der Vergleich mit Tolstoi unangemessen, klischeehaft und zu einseitig gesehen – es ist natürlich allein mein subjektiver literarischer Blick. Dennoch bin ich dankbar für diesen fortführenden Blick auf die russische Kultur, Geschichte, Lebensweise ins 20. Jahrhundert und die Erweiterung meines Horizontes: Georgien ist mir dem Namen nach bekannt und damit hat sich mein Wissen auch bereits erschöpft. Wirklich beeindruckend aber sind die beiden Familien, die im Fokus der Handlung stehen. Die Wiederholung ihrer Taten und Fehler, die Sprachlosigkeit miteinander an entscheidenden Stellen im Leben, in der Geschichte, lassen mir die Luft wegbleiben. Ich erahne, wie wenig und gleichzeitig wie viel wir eigentlich selbst unser Leben und unsere Liebe bestimmen und dass ein Happy End nur was für Märchen und Hollywoodtheater ist.

Kommentare

LySch kommentierte am 08. März 2017 um 10:40

Eine wundervolle Rezi! Nachdem mir dieses Buch gestern von der Buchhändlerin meines Vertrauens sehr ans Herz gelegt wurde und ich nun auch noch über diese tolle Rezi gestolpert bin, steht es nun definitiv seeehr weit oben auf der Wunschliste! :)
(Wobei man für dieses Buch echt Urlaub brauch, glaube ich ;))