Rezension

Der Flügelschlag des Schmetterlings meets Schrödingers Katze

Der Sprung
von Simone Lappert

Bewertet mit 4 Sternen

In Simone Lapperts Roman "Der Sprung" wechselt der Leser von Erzählstrang zu Erzählstrang und begleitet verschiedene Personen über einen Zeitraum von etwa zwei Tagen.

Die meisten dieser Personen haben untereinander nichts miteinander zu tun, aber ihrer aller Leben gerät aus dem Tritt, als plötzlich eine Person auf einem Dach in der Stadt steht und sich alle fragen, was mit ihr passiert ist oder noch passieren wird. 

Der Leser erfährt von den großen und kleinen Problemen, die jede der Figuren des Romans umtreiben. Das sind bekannte (Gesellschaft)Probleme, die jeweils für sich genommen Grundthemen eines Romans sein könnten, dafür ist in diesem Buch aber kein Platz. Stattdessen sorgt die Person auf dem Dach dafür, dass bei allen Akteueren eine Entwicklung angestoßen wird, die dazu führt, dass sie mit ihren Problemen an einen Punkt kommen, an dem sie eine Entscheidung treffen müssen. Das Schöne an diesem Buch ist, dass dieser Umstand zwar klar ist, aber bei den meisten Figuren unklar bleibt, wie genau es nach der Entscheidung weitergeht bzw. welche Entscheidung getroffen wird. Es ist ein bisschen wie bei Schrödingers Katze: die Rahmenbedingungen des Experiments sind festgelegt, aber solange man den Ausgang des Experiments nicht überprüfen kann (was wir als Leser nicht können, da die Autorin uns nichts aus der Zukunft wissen lässt), sind alle Möglichkeiten zugleich wahr. Das macht 'Der Sprung' zu einem Buch, das unglaublich 'reich' an Geschichten ist. 

Diese Geschichten sind teils tragisch, teils lustig, zeugen von Mut oder sind gar fast märchenhaft - wie es die Autorin selbst formuliert hat. Dass sie den Mut hat, auch solche Geschichten einzuflechten, bewundere ich, weil ich, wenn ich schreiben würde, auch immer etwas 'besonderes' passieren lassen wollen würde und ich mich beim Lesen gerne verzaubern lasse. Aber 'Magie' (selbst wenn es nur eine Kette von glücklichen Schicksalsfügungen ist), ist das eine, das andere ist Logik.

Ich habe mich mit der Ausgangssituation, die die Grundlage des Buches ist, sehr schwer getan. Ich habe lange und die Hilfe anderer Leser gebraucht, um überhaupt zu verstehen, warum die Person auf dem Dach ist. Vielleicht wäre es in diesem Fall hilfreich gewesen, die 'Katze' wirklich aus dem Sack zu lassen und einmal deutlich zu sagen, was dahintersteckt, und es nicht den Leser zwischen den Zeilen (und Kapiteln) erschließen zu lassen. Ich muss einräumen - das ist natürlich ein subjektives Problem und noch dazu eines, das mit dem eigentlichen Augenmerk des Buches nicht viel zu tun hat. 

Das liegt für mein Empfinden neben der Sprungproblematik - der sich ja nicht nur die Person auf dem Dach, sondern jede Figur in dem Roman gegenübersieht, wenn sie die für sich entscheidende Handlung wagt - in den zahllosen Verwicklungen, die unsere Leben miteinander verbinden. Andere Leser fanden dafür den passenden Vergleich 'Wimmelbuch': Es ist ein Kaleidoskop von Beziehungen, das auf jeder Seite eine neue Entdeckung für den Leser bereit hält und beim ersten Lesen schon die Vorfreude auf eine zweite Lektüre schürt.

Großartig gemacht und trotz der teilweise tragischen Schicksale ein Gute-Laune-Buch, das Aufbruchstimmung vermittelt.