Rezension

Der freundliche Mr Crippen

Der freundliche Mr. Crippen - John Boyne

Der freundliche Mr. Crippen
von John Boyne

Bewertet mit 4 Sternen

John Boyne schätze ich als Autor von Romanen mit einem realen historischen Hintergrund. Auch für diesen Roman hat er einen solchen gewählt. Der Mord an Cora Crippen bewegte im Jahr 1910 die Gemüter in Großbritannien und weit darüber hinaus. Dieses Thema ist mehrfach verfilmt worden und auch in der Gegenwart noch bekannt. „Crippen“, die englischsprachige Erstausgabe dieses Romans, erschien bereits im Jahr 2004.

Auch mit diesem Roman schaffte John Boyne, mich ans Buch zu fesseln. Der Sprachstil ist sehr angenehm. Obwohl ich wusste, wie der Fall Crippen letzten Endes ausgeht, wollte ich stets wissen, wie geht es im Buch weiter. Es ist bekannt, dass es sich bei dem Mordprozess um einen sogenannten Indizienprozess handelte. Noch heute bestehen begründete Zweifel am Ablauf der Tat, an der Schuld des Hawley Crippen und vor allem an der Identitä des Opfers. Von John Boyne wird auch vermittelt, dass es mehr als eine Version des damaligen Geschehens gibt. Hinsichtlich des Tatverlaufs und der Täterschaft stehen verschiedene Möglichkeiten im Raum. Für mich als routinierte Krimi- und Thrillerleserin ist die Variante, nicht Crippen selbst habe seine Frau ermordet, nicht schlüssig genug dargestellt, sie birgt einige Ungereimtheiten. Schon der Fundort der Leiche weckt in mir größere Zweifel.

Ethel le Neve gibt im Laufe der Romanhandlung zu, sie hätte den Mord an Cora Crippen begangen und die Leiche im Keller unter Fliesen verschwinden lassen. Da stellt sich mir die Frage, wie soll die junge Frau es geschafft haben, den Körper der Toten ohne Hilfe in den Keller zu bringen? Wer schon einmal versucht hat einen Ohnmächtigen zu bewegen, wird wissen, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist. Die Leiche lediglich unter den Fliesen zu verstecken, ist ebenso fragwürdig. Beide, sowohl Crippen als auch Ethel le Neve, sollten wissen, der Verwesungsgeruch wird sie verraten.

Aber gerade diese Widersprüche lassen mich fragen, waren diese wohl so beabsichtigt oder sind dem Autor handwerkliche Fehler unterlaufen? In den anderen Romanen von John Boyne sind mir ähnliche Fragwürdigkeiten bislang noch nicht aufgefallen.

In den 19 Kapiteln wechselt John Boyne immer wieder die Perspektive. Er berichtet unter anderem von der Flucht und Entlarvung auf dem Passagierschiff, von der Vergangenheit des Hawley Crippen, von den Zweifeln im Bekanntenkreis der Crippens und den Ermittlungen und der Verfolgung durch Scottland Yard.

Alles in allem bietet „Der freundliche Mr Crippen“ 560 Seiten solide Unterhaltung. Auch wenn ich mich an den genannten Punkten etwas stoße, habe ich den Roman doch gern gelesen.