Rezension

Der für mich schwächste Ketchum bisher

Lebendig - Jack Ketchum

Lebendig
von Jack Ketchum

Bewertet mit 1.5 Sternen

Jack Ketchum kann wohl ruhigen Gewissens zu den wenigen großen modernen Horror-Autoren gezählt werden. Bislang standen seine Romane für kontrovers diskutierte Veröffentlichungen, die in vielen Fällen als für den Massenmarkt ziemlich harte Kost stehen. Besonders sein Meisterwerk “Evil” dürfte wohl in dieser Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein. Nun liegt mit “Lebendig” der neue Ketchum vor, der zumindest dem ersten Eindruck nach klar auf den Spuren dieses Buches zu wandeln scheint. Die Erwartungen waren hoch, auch wenn es ein recht dünnes Büchlein ist. Sagt ja nichts über den Inhalt aus.

Bei aller Vorfreude machte sich jedoch nach dem Sichten der ersten (verlässlichen) Meinungen bereits die erste Ernüchterung breit, denn die Leserstimmen sprachen nun nicht unbedingt für “Lebendig”. Leider musste ich dann auch recht schnell feststellen, dass besagte Stimmen auch gar nicht so verkehrt lagen. Die Spannung und Atmosphäre, die bislang jeden mir bekannten Roman des Autoren ausgemacht haben, bleiben hier einfach auf der Strecke. Man wird Zeuge von immer neuen Misshandlungen, ohne dass diese dabei die bösartige Intensität erreichen, die Ketchum in anderen Werken so wunderbar heraufbeschworen hat. Hier wirkt es einfach wie eine Aneinanderreihung von (oftmals sexuell geprägten) Grausamkeiten, die vorwiegend Selbstzweckhaft wirken und dabei jeglichen Spannungsbogen vermissen lassen. Viel schwerer wiegt jedoch die Tatsache, dass die Grundstimmung des Buches dabei zu keiner Zeit bedrohlich herüber kommt, sondern dass die Handlung vielmehr einfach und seicht vor sich hin plätschert. Dazu kommt eine Vorhersehbarkeit, die ebenfalls nicht einfach wegzublinzeln ist und in dieser Hinsicht den Todesstoß versetzt.

Eine weitere Stärke Ketchums waren bislang seine Figuren, die – obwohl sie natürlich nicht die Tiefe eines Stephen King erreicht haben – immer interessant und glaubwürdig waren. Und mit denen man sich identifizieren konnte, mit denen man auch mitgelitten hat. Auch das ist hier leider nicht der Fall. Sara ist dem Leser über weite Strecken einfach völlig egal, man nimmt hin, was ihr angetan wird ohne sich dabei einen Kopf darum zu machen. Auch die Antagonisten sind mehr als blass, ihre Motivation lächerlich und alles in allem sind sie halt einfach da. Damit die Geschichte weiter gehen kann. Austauschbar und oberflächlich.

Der Stil hingegen ist das Einzige, was “Lebendig” mit den anderen von mir gelesenen Werken verbindet. Ketchum schreibt sehr bildlich und sehr explizit. Er verrennt sich dabei nicht in überflüssigen Wörterbrei, sondern kommt zumeist sehr eingänglich direkt auf den Punkt. Dummerweise bleibt hier nur die Eingänglichkeit, denn die Story selbst bietet nur sehr wenig, ist im Endeffekt nicht viel mehr als ein Rahmengerüst für die Aneinanderreihung von harten Foltersequenzen. Das geht, aller stilistischen Finesse zum Trotz, auf die Lesemotivation.

Fazit:

“Lebendig” kann leider in keinem Punkt mit den älteren Romanen Jack Ketchums mithalten. Die Figuren sind schwach, austauschbar und langweilig, die Story eigentlich nicht vorhanden und vorhersehbar, die Foltersequenzen zwar hart, dafür aber Selbstzweckhaft. Alles in allem eine schwache Veröffentlichung eines modernen Meisters, von der man sich eigentlich viel mehr versprochen hatte. Billiger Torture Porn für Folterfreaks ist das, was unter dem Strich übrig – wenn auch nicht lange im Gedächtnis – bleibt. Schade. Ich denke, dass es wieder einmal Zeit ist, die Gurke des Monats zu küren. Und so schwer es mir fällt: sie geht an Jack Ketchum und “Lebendig”.