Rezension

Der Hype ist leider nicht gerechtfertigt...

Mädchen, Frau etc.
von Bernardine Evaristo

Bewertet mit 2.5 Sternen

... ich weiß, dass es auf dem Arbeitsmarkt hart für mich wird, aber weißt du was, Yazz? ich bin kein Opfer, behandle mich niemals wie ein Opfer, meine Mutter hat mich nicht zum Opfer erzogen.  (S. 76)
 

Bernardine Evaristo wollte mit "Mädchen, Frau etc." ein Buch schaffen, das anders ist. Anders als alles bisher dagewesene. In gewisser Weise hat sie das auch geschafft. Beginnend bei einer Vielzahl schwarzer Frauen unterschiedlicher sexueller Orientierungen & Altersklassen über Transpersonen bis zu einem Schreibstil, den sie Fusion Fiction nennt.

 

Evaristo schreibt versartig, ohne Satzzeichen außer einem Punkt am Ende jeden Kapitels. Anfangs tat ich mich schwer, aber irgendwann fällt es nicht mehr auf. Viele Sätze entwickeln dadurch eine gewisse Doppeldeutigkeit - das ist wohl gewollt, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
 Allerdings frage ich mich immer noch, ob es dazu diesen fetzenartigen Erzählstil tatsächlich benötigt hätte. Bei einem normalen Sprachstil hätte man auf den vielen Seiten zumindest mehr Inhalt unterbringen können.

 

Womit wir beim nächsten "Problem" wären. Evaristo versucht in dem Buch unglaublich viele unterschiedliche Themen anzusprechen, von der Diskriminierung schwarzer Frauen/Personen im Allgemeinen über Gewalt & Unterdrückung in der Ehe bis zu Homo-/Transphobie und  Bildungsperspektiven. Das ist zu viel für ca. 500 Seiten. Dadurch kommen die Geschichten der zwölf (vorgestellten, es gibt noch viele weitere handelnde) Frauen zu kurz. Jeder Frau sind ca. 40 Seiten gewidmet, auf denen im Schnelldurchlauf das gesamte Leben (und manchmal noch das der besten Freundin oder des Partners) abgehandelt wird. Leider wirken die meisten Geschichten stark überzeichnet und teilweise sehr klischeehaft. Schade. Die Idee gefiel mir sehr gut, aber ich denke, es wäre besser gewesen, nur sechs oder gar drei Frauen zu Wort kommen zu lassen…

 

Alle Frauen sind in irgendeiner Art und Weise miteinander verbunden, sei es durch Freundschaft, Familie, ein Arbeitsverhältnis oder Schule & Uni. Das gefiel mir sehr gut, manche Situationen konnte man so aus dem Blickwinkel verschiedener Personen betrachten.

 

Weniger gelungen fand ich allerdings das Theaterstück vom Amma als „roter Faden“, der sich durch das gesamte Buch zieht. Ehrlich gesagt hatten die Kapitel quasi keinen Mehrwert. Insbesondere vom Ende war ich daher sehr enttäuscht. Die vielen Seiten hätte man problemlos weglassen und für die Frauen verwenden können.

 

Alles in Allem kann ich leider nur sagen, dass ich von der Idee – also mehrere Frauen, deren Leben zusammenhängen, zu porträtieren – immer noch begeistert bin, aber die Umsetzung mich leider etwas enttäuscht hat. Vielfach blieben Fragen offen, manches wird nur angedeutet, anderes bekommt zu viel Raum. Den Hype halte ich leider für übertrieben.