Rezension

Der Klassiker unter den Vampiren

Dracula Roman - Bram Stoker

Dracula Roman
von Bram Stoker

Bewertet mit 5 Sternen

Keine Vampirfigur ist populärer als Graf Dracula selbst, der sogenannte „Urvater“ aller Vampire.
Als Bram Stoker, 1897 seinen Roman veröffentlichte, dessen Erfolg er übrigens zu Lebzeiten nicht mehr erlebte, war er zwar nicht der Erste, der mit einer Vampirstory ans Lesepublikum trat, aber rückblickend ist er ohne Frage der Autor mit dem weitreichendsten literarischen Einfluss auf dieses Genre.
Denn die von ihm geschaffene Figur gilt als ‚der‘ Prototyp des Vampirs schlechthin, als Kulttfigur, die sich in unzähligen Variationen - in Literatur und Film - wiederfindet, und deren Strahlkraft bis heute ungebrochen ist.
Doch lohnt es sich für einen modernen Leser noch das Original von Stoker zu lesen?
Kann ein Gruselroman aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert den an Vampirgeschichten nahezu übersättigten Leser des 21. Jahrhunderts überhaupt noch erreichen?
Absolut.

Natürlich merkt man Stokers Roman seine Jahre an. Sprache, Erzähltempo und Charakterzeichnungen erscheinen uns stellenweise zu Recht als altmodisch. Man spürt eben, dass der Autor und seine Protagonisten ihrem Jahrhundert fest verhaftet sind.
Stoker weist sich mit diesem Roman nicht als seiner Zeit vorauseilender Visionär aus, auch nicht als gesellschaftskritischer Literat. Er spiegelt seine Zeit, aber er reflektiert sie nicht. Doch dies ist auch gar nicht seine Absicht. Stoker will unterhalten, Spannung erzeugen, Gänsehaut verursachen. Und all das gelingt ihm auf höchstem Niveau – und auf eine so zeitlose Weise, dass sein Unterhaltungsroman noch immer funktioniert.

Stoker lässt seinen Roman wie eine Dokumentensammlung erscheinen, zusammengetragen aus Tagebucheinträgen, Notizen und Zeitungsartikeln, um dem Geschehen eine fiktive Authentizität zu verleihen. Durch diese ständigen Perspektivwechsel kommen immer wieder andere Protagonisten zu Wort, das Erzählte wird lebendig. Auch kann Stoker durch diesen 'Erzähltrick' zusätzlich Spannung durch Cliffhanger erzeugen.

Für die atmosphärische Dichte sorgen seine teils sehr ausführlichen Naturbeschreibungen, die sich jedoch immer der Geschichte unterordnen. Stoker lässt seinen Dracula wie einen schwarzen Magier auftreten, der die Elemente der Natur beherrscht. So wird die Natur zur Metapher jenes unbeherrschbaren irrationalen Elements, das sich dem modernen Menschen entzieht.
Stoker bedient sich also eines Rezepts, das auch heute noch aufgeht:
er spielt mit den Urängsten seiner Zeitgenossen, die sich inmitten einer Epoche der Industrialisierung und der rasch voranschreitenden Wissenschaften durchaus als modern betrachteten und sich dennoch mit dem Metaphysischen, dem Unerklärbaren, repräsentiert durch die unbeherrschbare Natur, konfrontiert sehen.

Die Lektüre des Original ist also durchaus lohnend. Stoker entwirft unterhaltsame große und kleine Szenen und setzt dabei sehr effektiv das Kopfkino seiner Leserschaft in Gang.
Diese Zeitlosigkeit seines Werks machen aus seinem Dracula einen echten würdigen Klassiker.