Rezension

Der kleine große Sänger Joseph Schmidt

Der Sänger
von Lukas Hartmann

Bewertet mit 4 Sternen

Wer erinnert sich heutzutage noch an diesen grandiosen Sänger Joseph Schmidt, nur 1,54 m groß, dem aufgrund seiner Körpergröße die Opernbühnen verschlossen blieben, der aber als Konzert-, Film- und Radiosänger eine großartige Karriere hinlegte? Vielleicht kennt man noch am ehesten „Tiritomba“ oder „Ein Lied geht um die Welt“. Ich empfehle Ihnen sehr, sich Joseph Schmidt bei YouTube mit der Arie „Nessun dorma“ anzuhören. So bekommen Sie am ehesten eine Ahnung davon, wieso seine Stimme die Welt verzauberte.

Das vorliegende Buch befasst sich mit den letzten Lebensjahren des berühmten Tenors, dem die Frauen zu Füßen lagen, Joseph Schmidt,„the tiny man with the great voice“. Nach den Jahren größter Erfolge in Deutschland, Europa und Amerika ist Joseph Schmidt als Sohn orthodoxer Juden seit 1933 auf der Flucht vor den Nazis, von Wien nach Belgien nach Holland nach Frankreich. Schließlich schafft er es von der Auvergne aus in die Schweiz. Joseph Schmidt ist krank, schwer krank. Doch der Schweizer David fürchtet sich vor dem deutschen Goliath. Und so landet Joseph Schmidt trotz seiner schlechten körperlichen Verfassung im Internierungslager Girenbad, erfährt keine wirkliche medizinische Hilfe und stirbt schließlich 1942, im Alter von nur 38 Jahren.

Lukas Hartmann versucht in seinem Buch, dem begnadeten Tenor während seiner letzten Lebensjahre intensiv nachzuspüren, indem er viel Platz lässt für Innenansichten, für Gedanken, für Erinnerungen, kurzum für die Tragik eines jüdischen Tenors, für den Gesang eine Form der  Frömmigkeit war, der sich durch seine Stimme Größe und Raum verschaffte. Und der in der Schweiz seine Stimme verliert und damit auch sein Kapital, seinen Glanz, seine Kraft der Verführung und der, obwohl er keine Hilfe erfährt, dennoch den Schweizern dankbar bleibt, weil sie ihn (im Lager!) aufgenommen haben. Obwohl sich Lukas Hartmann in einem etwas zähflüssigen, gefühlsarmen Schreibstil ausdrückt mit geradezu nüchtern-distanzierten Schilderungen, geht das Buch ans Herz. Aber es ist nicht nur eine Hommage an den Künstler Joseph Schmidt, es ist vor allen Dingen ein politisches Buch. Denn es ist eine Ohrfeige für die Schweiz während der NS-Zeit, und auch eine Ohrfeige für unser gegenwärtiges Europa und seine Flüchtlingspolitik. Ein Buch, das lange nachklingt…