Rezension

Der Krieg und seine generationsübergreifenden Folgen

Die Mutter meiner Mutter
von Sabine Rennefanz

Bewertet mit 4 Sternen

Gut recherchierte (Familien)Flüchtlingsgeschichte, sehr aufwühlend, manchmal irritierend und nur mit Konzentration zu lesen

Cover
Das Cover zeigt einen Kranz aus Tannenzapfen. Auf den ersten Blick kühl und nichtssagend. Man verbindet damit einfaches Leben auf dem Lande, so wie es
die Großmutter der Autorin auch gelebt hat. Der Kreis erinnert daran, dass sich die Geschichte wiederholt, da unbewusst die Erfahrungen von einer
Generation zur nächsten weitergetragen werden.

Inhalt:
Sabine Rennefanz erzählt die Geschichte ihrer Großmutter Anna Stein aus ihrer Perspektive als Enkelin. Durch einen Dachbodenfund der Mutter wird ein lange gehütetes Familiengeheimnis aufgedeckt. Die Autorin erfährt, warum ihre Großeltern wirklich heirateten und welche schrecklichen Ereignisse der Hochzeit vorausgingen. So wie in Annas Fall gab es nach dem Krieg in vielen Familien Brutalität und Gewalt und fast immer wurde weggesehen oder geschwiegen.

Mein Eindruck:
Der Anfangssatz "Ich habe etwas über Deinen Großvater herausgefunden", den die Mutter der Autorin ihr am Telefon zuflüstert, versprach ein spannender Roman über ein bis dato gehütetes Familiengeheimnis zu werden. Jedoch wird dieser Satz in den ersten Kapiteln des öfteren wiederholt, wobei beschrieben wird, wie er der Autorin neben vielen nebensächlichen Gedanken, immer wieder im Kopf herum spukt. Dabei erfährt man erstmal nichts weiter als Leser. Grade diese Passage zu Beginn hat sich für meinen Geschmack etwas zu lange hingezogen und zeitweilig genervt, weil die Handlung so gar nicht voran kommen wollte.

Dann wird endlich tiefer in die Geschichte eingestiegen und in kühlen, knapp gehaltenen Sätzen wird nach und nach die Flüchtlingsgeschichte der Großmutter
von Frau Rennefanz beschrieben. Ab da ließ mich das Buch nicht mehr los. Durch die kurz gehaltenen Sätze und Abschnitte wird man dazu angehalten,
immer weiter lesen zu wollen und so ist man schnell mit dem Inhalt durch.

Anfangs hat mich die emotionslose Nüchternheit in der Sprache überrascht. Doch letztendlich passte sie zur Geschichte, die die Autorin auch nur
mittelbar, größtenteils durch Erzählungen und Recherche in Erfahrung gebracht hat. Dadurch wird eine gewisse innere Distanz geschaffen, die hilft, die
teilweise schlimmen Erlebnisse besser zu verarbeiten. Man nimmt sie auf, ohne zu (ver)urteilen. Dennoch wirken sie noch lange in einem nach, vor allem wenn
man die aktuellen Meldungen zur Flüchtlingspolitik im Kopf dabei hat.

Trotz der kurzen Sätze muss man konzentriert bei der Sache bleiben. Die Informationen erfolgen so kompakt, dass man leicht den Überblick verlieren
kann, vor allem, da es immer wieder Perspektivenwechsel von der Ich-Erzählerin zu "meine Großmutter" gibt. Manchmal musste ich auch
zurückblättern und nachlesen, weil ich merkte, dass ich den Faden verloren hatte. Zudem werden viele Personen aufgezählt, bei denen man sich fragt, ob
sie für die weitere Handlung relevant sind oder nicht. Das hat mich teilweise etwas verwirrt.

Insgesamt hat mich das Buch sehr aufgewühlt, teilweise auch etwas verstört/irritiert zurückgelassen. Als ich manche Dinge las, erschienen sie
mir für sich genommen klar, aber im Nachgang konnte ich die vielen Gefühle und Gedanken, die zum Roman in mir hochstiegen, nicht so richtig ordnen und
selbst mit einigem Abstand bin ich zwiegespalten, was dieses Buch betrifft.
Die Handlung selber ist so, wie sie stattgefunden hat, das kann ich nicht bewerten. Die Darstellung der Geschichte war einfach nicht ganz nach meinem Geschmack, vielleicht mochte ich auch nicht Tatsache, dass ich nach dem Zuklappen des Buches meine Gefühle nicht einordnen konnte und so fiel mir eine Bewertung sehr schwer, ich habe aber jetzt halbwegs ein stimmiges Gefühl.

Fazit:
Gut recherchierte (Familien)Flüchtlingsgeschichte, sehr aufwühlend, manchmal irritierend und nur mit Konzentration zu lesen