Rezension

Der lang erwartete Abschluss der Neapel-Saga

Die Geschichte des verlorenen Kindes - Elena Ferrante

Die Geschichte des verlorenen Kindes
von Elena Ferrante

Bewertet mit 5 Sternen

In den achtziger Jahren kehrt Elena nach Neapel zurück, und Elena und Lila erleben ihre Freundschaft wieder intensiver. In diesem vierten Band schließt sich der Bogen, den die Autorin auf den ersten Seiten des ersten Bandes begonnen hat, der Leser erfährt die restliche Geschichte der beiden Frauen, und nimmt die Frage nach dem Verschwinden der Freundin wieder auf.

Auf interessante Weise schildert die Autorin die Freundschaft der beiden Frauen, eine Freundschaft, die von vielerlei (auch negativen) Emotionen begleitet ist. Dabei streift sie schonungslos viele Themen Italiens in den achtziger Jahren bis hin ins neue Jahrtausend, aber auch die Lebensthemen der beiden Frauen erhalten neue Höhepunkte, die den Alltag der beiden betreffen. Deutlich wird, wie Elenas und Lilas Leben miteinander verbunden waren, sowohl in Zeiten der Nähe wie auch des Abstands, wie beide Frauen erst im Miteinander zu derjenigen wurden, die sie im Leben geworden sind: dass Elena erst im Gegensatz zu Lila die Schriftstellerin wurde, während Lila zur heimlichen Macht im Rione Neapels werden konnte. Verblüfft habe ich festgestellt, wie gut es der Autorin gelingt, bereits bekannte Aspekte der Freundschaft zwischen den beiden Frauen herauszuarbeiten, aber auch neue hervorzubringen. Dies scheint mir ähnlich gut gelungen zu sein wie im ersten Band, es war mir eine besondere Freude, diesen Abschluss zu lesen. 

Etwas verwirrt hat mich der völlig offene Abschluss des Buches hinterlassen, denn zwar sind viele Fäden des Buches zum Abschluss gebracht worden, aber die wichtigste Frage, mit der die Autorin uns Leser in die Geschichte gelockt hat, wurde nicht aufgelöst. Zugegeben, damit hat sie mich mehr zum Nachdenken gebracht als mit einer vorgegebenen Erklärung. Dennoch bleibt ein Gefühl der Unzufriedenheit, denn dieses offene Ende war für mich nicht vorhersehbar. 

Erstaunlich ist es, wie sehr es der Autorin immer noch gelingt, ihre Anonymität zu wahren, scheint das doch in der heutigen Zeit der sozialen Netzwerke kaum machbar. Erstaunlich vor allem auch, weil Elena Ferrante kein Blatt vor den Mund nimmt, um Neapel zu schildern, es ist wahrlich kein touristisch geschöntes Bild, das der Leser hier von dieser Stadt erfährt. Angetan bin ich hingegen davon, wie die Autorin es völlig offen lässt, ob es sich hier um eine Autobiografie handelt oder ob sie die Geschehnisse erfunden hat auf dem Hintergrund der Gegebenheiten in Neapel. Dieses Verwirrspiel ist ihr bis zum Schluss hervorragend gelungen. Bis auf das offene Ende der Geschichte hat mich das Buch dermaßen überzeugt, dass ich nun mit leichten Abstrichen fünf von fünf Sternen vergebe.