Rezension

Der Märchenerzähler

Der Märchenerzähler - Antonia Michaelis

Der Märchenerzähler
von Antonia Michaelis

Bewertet mit 5 Sternen

Anna Leemann ist eine 17-jährige Schülerin, die sich auf das Abitur vorbereitet. Normal ist Anna hingegen nicht, sie lebt in ihrer eigenen Welt, in ihrer "Seifenblase" und grübelt viel über die Welt und das Warum nach. Doch trotz ihrer ruhigen Art ist sie keine Außenseiterin, im Gegenteil. Sie hat Freunde und ist beliebt. Eines Tages findet sie im Aufenthaltsraum ihrer Klasse eine Puppe - und damit verändert sich ihre Leben grundlegend.

Diese Puppe gehört angeblich der Schwester eines Mitschülers, Abel Tannatek. Abel ist ein Quereinsteiger, Schulschwänzer und Außenseiter auf dem Gymnasium, er besucht es erst seit 1,5 Jahren und dennoch hatte er bis jetzt wenig Berührungspunkte mit Anna, obwohl sie zusammen in ein paar Kursen sind. Doch an diesem Tag ändert sich alles. Abel, von allen nur "polnischer Kurzwarenhändler" genannt, weil er in der Schule Drogen verkauft, fasziniert Anna. Sie will mehr über diesen Jungen erfahren, der sich anscheinend so rührend um seine kleine Schwester kümmert.

Anna folgt Abel heimlich in die Uni-Mensa und entdeckt dort einen ganz anderen Abel. Dieser junge Mann kümmert sich rührend um seine 6-jährige Schwester Mischa. Anna bekommt mit, wie Abel seiner kleinen Schwester das Märchen von einer kleinen Klippenkönigin erzählt, deren Insel untergeht und die zusammen mit einem Seelöwen die gefährliche Flucht Richtung Festland wagt. Anna wird, ebenso wie Mischa, sofort von der Geschichte in Bann geschlagen. Natürlich bleibt Anna in der Uni-Mensa nicht unbemerkt. Tatsächlich freundet sie sich sogar mit dem Geschwisterpaar Tannatek an, deren Mutter verreist zu sein scheint. Nach und nach stellt Anna fest, dass der 17-jährige Abel sich ganz allein um seine kleine Schwester kümmert und es trotz aller Sorgen und Nöte schafft, ihr ein liebevolles zu Hause zu geben. Und Abel erzählt den beiden die Geschichte der kleinen Klippenkönigin weiter, von der Flucht vor dem Diamantenhändler und seinen Schergen. Nach und nach baut er immer wieder reale Personen in sein Märchen ein und die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit scheint zu verschwimmen ...

Was für eine Geschichte! Real und doch phantastisch, brutal und doch liebevoll und einfach märchenhaft. Das Buch weißt einen dermaßen einnehmenden Schreibstil auf, dass selbst kurze Unterbrechungen kaum möglich sind, ich war wie gefangen in der Geschichte. Die Charaktere wurden mit sehr viel Tiefe und Liebe zum Detail entworfen, sodass diese so real wirken, als könne man ihnen jeden Moment in der wirklichen Welt begegnen. Auch die Nebenfiguren, von denen es im Buch nicht wenige gibt, wurden sehr detailliert und tief dargestellt, was bei Nebencharakteren leider häufig nicht der Fall ist. Bei diesem Buch handelt es sich um das 1. Buch der Autorin, dass ich gelesen habe und es war mit Garantie nicht das letzte!