Rezension

Der Mut zur Initiative

Loyalitäten - Delphine de Vigan

Loyalitäten
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 5 Sternen

In „Loyalitäten“ geht es um die zwölfjährigen Jungen Théo und Mathis, ihre Eltern und ihre Biologielehrerin Helène. Die beiden Jungs verdrücken sich regelmäßig während der Schulzeit um Alkohol zu trinken. Während das für Mathis eher etwas mit Ausprobieren und Abenteuer zu tun hat, will Théo immer mehr. Der Alkohol hat für ihn eine ganz andere Funktion: seinen Kummer zu betäuben, darüber, wie schlecht es seinem Vater geht, wie sehr sich seine Eltern hassen und wie allumfassend die Sprachlosigkeit in seiner Familie ist. Die Loyalität seinem Vater gegenüber lähmt ihn und hindert ihn daran, das Problem zur Sprache zu bringen – ähnlich wie Mathis Théo nicht verpetzen will.

Auf der anderen Seite steht Helène, die Lehrerin, die als Kind Gewalt erlebt hat und sich geschworen hat, nicht wegzusehen. Aus Loyalität zu sich selbst, oder zu ihrem kindlichen Selbst, versucht sie immer wieder Théo die Hand zu reichen und herauszufinden, warum er so furchtbar still ist. Mathis Mutter wiederum kündigt ihrem Mann die Loyalität auf, nachdem sie eine unschöne Entdeckung über ihn macht und sie endlich lernt, zu sich selbst zu stehen.

De Vigan erzählt diese Geschichte(n) aus verschiedenen Perspektiven. Es ist wirklich beeindruckend, mit wie wenigen Worten oder Pinselstrichen sie komplexe Charaktere in existentiellen Krisen zeichnen kann, dabei zutiefst empathisch und nie mit dem erhobenen Zeigefinger. Dadurch gelingt ihr ein außerordentlich berührendes Werk zu einer ganzen Reihe wichtiger Themen: nicht „nur“ dem der jugendlichen Alkohol- oder Drogensucht, sondern auch dem, wie viel Mut es kostet, die Initiative zu ergreifen statt seine Probleme (und die der anderen) zu ignorieren.