Rezension

Der Nachbar aus der Hölle?

Ein Mann namens Ove - Fredrik Backman

Ein Mann namens Ove
von Fredrik Backman

Bewertet mit 5 Sternen

„Ove schiebt die grüngeblümten Gardinen zur Seite. Jahrelang hat ihm seine Frau in den Ohren gelegen, sie auszutauschen. Jetzt sieht er eine kleine schwarzhaarige, offenbar ausländische Frau, so um die dreißig. Sie steht da und gestikuliert wild in Richtung eines gleichaltrigen, viel zu groß gewachsenen blonden Trottels, der auf dem Fahrersitz eines viel zu kleinen japanischen Autos mit Anhänger klemmt und gerade die komplette Außenseite von Oves Haus angeschrammt hat. Der Trottel scheint der Frau gerade mit subtiler Gestik und verschiedenen Zeichen verständlich machen zu wollen, dass es in Wirklichkeit nicht so leicht ist, wie es aussieht. Die Frau scheint dem Trottel mit keineswegs subtiler Gestik verständlich machen zu wollen, dass dies höchstwahrscheinlich damit in Zusammenhang steht, dass er ein echter Volltrottel ist. … »Raus aus dem Wagen, habe ich gesagt!« Der Trottel sieht Ove etwas ängstlich an, aber riskiert kein einziges Wort mehr. Stattdessen steigt er aus seinem Auto und stellt sich neben den Wagen wie ein Schuljunge, der zur Strafe in die Ecke muss. Ove zeigt auf den kleinen Weg zwischen den Reihenhäusern, hinüber zum Fahrradschuppen und zum Parkplatz. »Gehen Sie zur Seite und stellen Sie sich irgendwo hin, wo Sie nicht im Weg sind.« Der Trottel nickt ein wenig irritiert. »Mein Gott. Ein Unterarmamputierter mit grauem Star hätte den Hänger schneller eingeparkt«, brummt Ove, als er in den Wagen steigt. … »Rückfahrradar und Parkassistent und Kameras und all so ein Mist. Ein Mann, der so etwas braucht, um rückwärts einzuparken, sollte verflucht nochmal ganz die Finger davon lassen.« Der Trottel nickt ihm nur erleichtert zu. »Danke für Ihre Hilfe«, ruft er, als würde Ove ihn nicht seit zehn Minuten anhaltend beleidigen. »Sie sollten nicht einmal eine Kassette zurückspulen«, antwortet Ove und stiefelt an ihm vorbei.

„Ove ist der Nachbar aus der Hölle“ – steht einleitend im Klappentext des Buchs. Tatsächlich ist genau das der Gedanke, der einem zunächst beim Lesen kommt.

Ausnahmslos an jedem einzelnen Tag im Jahr steht Ove um viertel vor sechs auf. Bei einer genau festgelegten Kontrollrunde prüft er nicht nur, ob kein Haus in der Siedlung Einbruchsspuren aufweist, sondern auch, ob Garagentore abgeschlossen und der Müll sauber getrennt wurde. Kein Falschparker entgeht seinem wachsamen Auge!

Seine Miene ist meist finster und was er von sich gibt, ist fast immer ein Grummeln, je nach Anlass gepaart mit Beschimpfungen und Sätzen wie „Regeln sind dafür da, dass sie eingehalten werden“.

 

So jemanden möchte man doch wirklich nicht als Nachbarn haben! Sicher gibt es keinen Menschen, der es freiwillig mit so einem Mann aushält! Oder – vielleicht doch?

Einen gab es auf jeden Fall schon mal. Fast vier Jahrzehnte lang lebte Sonja, Oves Frau, an seiner Seite. Dann starb sie. Ove, der mit diesem Verlust nicht mehr zu leben weiß, will sich umbringen. Doch das ist gar nicht so einfach, denn immer wieder machen ihm seine Nachbarn einen Strich durch die Rechnung…

 

Erwartet hatte ich von diesem Buch so etwas wie eine Komödie mit einem Griesgram, der sich als liebenswerter Kerl entpuppt. Jetzt, nach dem Lesen, bin ich der Meinung, dass diese simple Beschreibung dem Buch nicht gerecht wird.

„Ove ist ein liebenswerter Charakter“. Auch das habe ich oft gelesen. Und mich gefragt, wie man einen notorischen Falschparkermelder liebenswert finden kann. Jetzt weiß ich: Es geht!

 

Tatsächlich hat mich die Geschichte um den Mann namens Ove von Anfang bis Ende sehr berührt. Gleich zu Beginn des Buchs kann der Leser Ove in voller Aktion erleben. Ein Beispiel dafür ist die – nunja – Einparkhilfe, die er seinem neuen Nachbarn zuteilwerden lässt. Ich habe diese (gekürzte) Textstelle als Eingangszitat ausgewählt, weil man daran viel über Ove erkennen kann.

Zunächst einmal: Ove ist kein Mensch, der zusieht. Kein Mensch, der mit einer „Das-geht-mich-ja-gar-nichts-an“-Einstellung durchs Leben geht. Er wird aktiv, auch wenn es ihn nervt.

Seine Wortwahl ist kreativ. Und konsequent. Der „Trottel“ wird noch sehr lange „Trottel“ heißen. Gleichzeitig achtet er sehr auf korrekten Sprachgebrauch: Beschimpfungen sind in Ordnung, so lange sie in einwandfreier Grammatik vorgetragen werden.

Er kann nicht nur reden, er kann auch tatsächlich machen. Alles, was Zupacken und handwerkliche Fähigkeiten erfordert, ist seine Welt. Sowas sollte ein Mann einfach können! Ein Mann bezieht seinen Wert aus dem, was er Nützliches vollbringen kann! Man ahnt schnell, dass eine solche Einstellung zum Problem werden kann, wenn man – wie Ove -  plötzlich (mit 59 Jahren) in den Ruhestand befördert wird.

„Er kann die Leute nicht verstehen, die sagen, sie freuten sich auf die Rente. Wie kann man sich ein Leben lang darauf freuen, überflüssig zu sein?“

 

Vermutlich wäre der Neurentner aber trotzdem mit seiner geänderten Lebenssituation klargekommen. Wenn nicht schon Monate zuvor seine über alles geliebte Frau gestorben wäre. Die beiden hatten sich gesucht und gefunden, sie hatten sich ideal ergänzt. In diversen Rückblenden wird das ganz deutlich:

„Auf dem Boden des Wohnzimmers steht Oves kleiner »Brauchbar«-Kasten. So haben sie das Haus aufgeteilt. Alle Dinge, die Oves Frau gekauft hat, sind »schön« oder »nett«. Alle Dinge, die Ove gekauft hat, sind Dinge, die man gut gebrauchen kann. Dinge, die eine Funktion besitzen. … Ove verstand etwas von Dingen, die er sehen und in die Hand nehmen konnte. Beton und Zement. Glas und Stahl. Werkzeug. Dinge, die man berechnen konnte. Er konnte mit rechten Winkeln und klaren Gebrauchsanweisungen umgehen. Mit Bauplänen und Zeichnungen. Mit Dingen, die man auf Papier aufzeichnen konnte. Er war ein Mann aus Schwarz und Weiß.

Und sie war Farbe. All seine Farbe.“

 

Indem ich gerade dieses Zitat abtippte, dachte ich wieder, wie romantisch das ist. Wie berührend! Es gibt einige solcher Textstellen. Normalerweise gehöre ich zu der Gruppe von Lesern, die vor einem Zuviel an Romantik zurückschreckt, aber diese Stellen gingen mir ans Herz.

Überhaupt finde ich, dass dies ein Buch der großen Emotionen ist. Es gibt Romantik, es gibt ein paar so traurige Stellen, dass der Kloß im Hals schon ordentlich dick wird. Und es gibt Stellen, die sind absolut und wahrhaftig zum Schreien komisch. (Ich habe mir im Ruheraum der Sauna ein paar mahnende Blicke zugezogen, weil ich plötzlich so lachen musste ;-) Und alles wechselt munter miteinander ab – tja, so ist wohl das Leben.

 

Ich habe gleichermaßen mit dem verhinderten Selbstmörder mitgelitten wie über ihn gelacht. Ich habe mich an dem wunderbaren Schreibstil des Autors erfreut, mehrere weitere sympathische und unterhaltsame Charaktere kennengelernt und mitgefiebert, wie die Geschichte wohl ausgehen mag. Und ich habe Ove kennengelernt. Ich habe erfahren, wie er zu dem Mann wurde, der er ist. Ich möchte jedem empfehlen, ihn ebenfalls kennenzulernen. Es lohnt sich! Und vielleicht lohnt es sich ja außerdem, bei dem ein oder anderen griesgrämigen Mitmenschen mal zu überlegen, warum er wohl so ist, wie er ist und ob er nicht auch ein paar gute Seiten hat.

 

Fazit: Ein wunderbares Buch! Sehr berührend, voller Emotionen und Wortwitz. Ich stelle es zu meinen anderen Lieblingsbüchern und werde es – völlig egal, wie hoch mein SuB ist – noch öfter zur Hand nehmen.