Rezension

Der Roman von Europa und den Tiefen des menschlichen Seins

Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann

Die Vollendung des Königs Henri Quatre
von Heinrich Mann

Bewertet mit 5 Sternen

Für viele gehören die Romane von Heinrich Mann über den französischen König Henri Quatre zum Besten, was deutsche Romankunst im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Das erste dieser beiden Bücher - Die Jugend des Königs Henri Quatre - erzählt in seinem Zentrum von der blutigen Bartholomäus-Nacht, die der Held Henri Navarra nur knapp überlebt - weil er des Königs Schwager ist. Diese Geschichte, die der Bartholomäus-Nacht, ist oft erzählt und ebensooft verfilmt worden. Das Besondere in Heinrich Manns Roman mag darin liegen, daß dieses grausame Hugenotten-Massaker für den noch sehr jungen Helden zum Ausgangspunkt für eine langwierige Bewußtwerdung und Reifung wurde. Dabei geht es nicht - und ging es auch historisch nicht - um einen langgehegten und gepflegten Racheplan. Sondern gerade um das Gegenteil, um die Überwindung von Rachegedanken, um das Erringen einer vernünftigen Haltung zu den Machthabern im Frankreich des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Diese Haltung erprobt der Held Henri in Schlachten und in Liebesabenteuern, in ernsten Verhandlungen und listigen Schachzügen. Und nicht nur einmal schlägt ihm dabei seine Spieler-Natur ein Schnippchen. Das ist nämlich das Grundthema beider Bücher dieses Epos, auch das von „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“: Sind Vernunft, gedankliche Klarheit, eine deutliche Zielvorstellung - sind sie, einmal errungen, immer gegenwärtig im Handeln? Ja, ist eine auf vernünftigen Gründen fußende Handlung schon deshalb sinnvoll, zielführend und richtig? Wie verhält es sich mit dem Spielerischen und Unwägbaren, mit dem Leidenschaftlichen und dem Stimmungsmäßigen in des Menschen Natur - sind sie der Gegensatz der Vernunft und ihr schier unüberwindbares Hindernis - und vielleicht der eigentliche menschliche Antrieb? Am Ende des Romans über seine Jugend hat der Held sich als französischer König behaupten können - etabliert hat er sich noch nicht. Dieser Prozeß, der wirkliche Herrscher von Europas Zentrum zu werden, bleibt dem zweiten Buch vorbehalten. Es schildert den äußerst streitbaren Helden, der es erreicht, daß er gekrönt wird, der seine Hauptstadt gewinnt – mit List und Geld und weil er endgültig zum katholischen Glauben konvertiert ist. Aus dieser Haltung heraus erläßt er das erste staatlich verbriefte Toleranz-Edikt in Europa über die Freiheit zu denken und zu glauben für alle seine Untertanen. Als Frankreich befriedet ist, schließt er Frieden mit der anderen Großmacht, mit Spanien, und er gewinnt andere europäische Staaten zu seinen unverbrüchlichen Verbündeten. Alles Schritte, die aus vernünftigen Erwägungen entstanden sind und entschlossen umgesetzt wurden. Man nennt ihn nun: groß - einen großen König. An seiner Seite hat er die schönste Frau, Gabrielle. Er hat lange um sie geworben, bis sie ihn schließlich von ganzem Herzen liebt. Er hat mit ihr drei Kinder, es scheint, er wäre angekommen in seinem Leben. Aber er heiratet Gabrielle nicht, sie stirbt im Kindbett, aber eigentlich an seiner Unentschlossenheit, ihren Bund zu befestigen. Der Verlust dieser Liebe führt Henri vor Augen, wie zweifelhaft vernünftige Gründe sind für das Handeln. Denn seine Ratgeber haben eine andere Heirat ins Auge gefaßt, die für Henri und die Krone vorteilhafter und eben vernünftiger ist: die florentinische Prinzessin Marie von Medici. Daß er Gabrielle verlieren mußte, das ist für den Helden ein grundstürzendes Erlebnis. Was nun folgt, der Verrat früherer Gefährten und der Verlust von Verbündeten, hat mit Gabrielles Tod nichts zu tun - aber Henri ist unsicher geworden, er fühlt sich nicht mehr zu Hause in seinem Leben, aus dem Vollen schöpft er nicht mehr. Wenn auch er diese Hürden nimmt, daß es sie gibt, stimmt ihn nicht, wie früher, kämpferisch - es macht ihn traurig. Daß um ihn herum, in der höheren Gesellschaft und am Hofe, der Verrat immer weiter schleicht, das führt Henri selbst darauf zurück, daß er niemanden mehr liebt, nicht seine Ehefrau, auch keine seiner Geliebten, und daß er nur mehr einen wirklichen Gefährten hat, seinen ersten Minister und alten Freund Sully. Dennoch formt er, aus dem Aufschwung, den Frankreich nun in jeder Hinsicht nimmt, einen neuen Plan, einen Zukunftsplan, den Großen Plan von der friedlichen Einigung Europas. Dieses Vorhaben und seine Auseinandersetzung damit bestimmen seine letzten Lebensjahre und die letzten Kapitel des Romans. Wieder wird dies vernünftige Vorhaben zersetzt von einem gewagten Spiel, dem um die Liebe zu einer sehr jungen Dame des Hochadels. Die spielerische Natur des Helden will sich um eines augenblicklichen Kicks willen dem vernünftigen Verhalten gegenüber durchsetzen. Aber Henri findet zu sich zurück. In grandios geschilderten Szenen der inneren Auseinandersetzung bekennt der Held sich zu sich selbst. Er begreift auch, daß die Realisierung seines Großen Plans Zukünftigen vorbehalten bleiben muß. Und während dieser Selbstbesinnung läuft am Hof das Drama der tödlichen Verschwörung ab, in dessen fünften Akt der Held Henri, der wirkliche Henri Quatre ermordet wird. Und der Roman ist aus...

Heinrich Mann hat mit diesem Romanwerk eingefangen und für alle Zeiten festgehalten, was europäische Gesittung bedeutet: Tradition, Vernunft, Persönlichkeit, Sittlichkeit. Er hat aber auch gezeigt, wie abgründig die menschliche Natur ist - und wie fragwürdig selbst die Vernunft, jene Brücke über diese Abgründe, die einzig mögliche Grundlage für menschenwürdiges Handeln.

Abschließend sei noch die Güte dieser Ausgabe mit dem vielfältigen Begeleit-Material, den Autor und den Romans selbst betreffend, hervorgehoben.