Rezension

Der schaurige Schrecken früher Medizin

Die Tinktur des Todes - Ambrose Parry

Die Tinktur des Todes
von Ambrose Parry

Bewertet mit 4 Sternen

Edinburgh im Jahre 1847: der junge Wilberforce Raven, genannt Will, wird Famulus bei dem renommierten Arzt Dr. Simpson in der Queen Street. Eine glückliche Fügung für Will. Denn er hofft damit, nicht nur sein Medizinstudium erfolgreich zu absolvieren, sondern will damit auch dem Geldverleiher Flint entkommen, dessen brutalen Eintreiber ihm auf den Fersen sind. Doch was Will noch mehr beschäftigt als die Medizin, ist der rätselhafte Todesfall der Prostituierten Evie, die augenscheinlich qualvoll an einem unbekannten Gift verstarb.

„Die Tinktur des Todes“ ist ein schaurig schöner historischer Kriminalroman des schottischen Autoren-Ehepaars Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman, die unter dem Pseudonym Ambrose Parry auftreten. Während Brookmyre schon als Schriftsteller zahlreicher Thriller erfolgreich war, hat vor allem die Arbeit von Marisa Haetzman, ihres Zeichens Anästhesistin und Medizinhistorikerin, das Paar zu dem vorliegenden Buch animiert.

„Eine gute Geschichte sollte nicht mit einer toten Dirne beginnen – dafür bitte ich um Verzeihung – schließlich handelt es sich nicht um ein Thema mit dem achtbare Menschen sich gern zu befassen pflegen.“

Der Roman ist gespickt mit historisch relevanten Informationen und Erwähnungen, wie der chemisch-pharmazeutischen Manufaktur Duncan and Flockhart oder der Pionierin der Fotografie Jessie Mann. Das historische Ambiente ist ausgezeichnet gewählt. Das Buch lebt von den äußerst plastischen Schilderungen der Schrecken der frühen Medizin. Es sind keine sehr angenehmen Einblicke in die damalige Chirurgie und Geburtshilfe. Wenn Dr. Simpson und seine honorigen Kollegen die ersten Versuche mit medizinischer Betäubung durch Äther oder Chloroform wagen, kann man nur froh sein, dass einem das Schicksal der damaligen Patienten erspart blieb.

„Ist die Medizin eine Kunst, dann ist sie oft eine dunkle, dachte Raven, doch diese Beobachtung behielt er lieber für sich.“

Die eigentliche Kriminalhandlung hinkt hier etwas hinterher. Die Morde von Edinburgh sind wohl rätselhaft, aber in ihrer Auflösung nicht besonders aufregend. Will Raven ist ein liebenswerter Antiheld, der ohne die Unterstützung der beherzten, wissbegierigen und klugen Sarah, die als Hausmädchen bei Dr. Simpson beschäftigt ist, aufgeschmissen wäre. Eigentlich ist Sarah die bessere Medizinstudentin, wenn ihr nicht ein entscheidendes Attribut fehlen würde: die Männlichkeit.

Alls in allem ist „Die Tinktur des Todes“ ein solides Lesevergnügen mit besonderem Augenmerk auf den historischen Kontext.