Rezension

Der Schimanski aus dem Alentejo

Der Tote von Sines - Claudia Santana

Der Tote von Sines
von Claudia Santana

Bewertet mit 4 Sternen

Ein gelungener Auftakt zu einer neuen Portugalreihe mit einem harten Ermittler und einem packenden Kriminalfall mit Bezügen zur Diktatur.

“Nuno, nimm mir nicht übel, was ich jetzt sage, aber du siehst aus wie ein Clochard.” Jetzt brach Cabral in lautes Gelächter aus. Er sah an sich hinunter. Seine cognacfarbene Wildlederjacke war abgetragen, und die zu langen Ärmel seines Wollpullovers lugten sicher zehn Zentimeter aus den Jackenärmeln hervor und verdeckten seine Hände.” (Der Tote von Sines, S. 37) 

Die Handlung in wenigen Sätzen  

Als Nuno Cabral, der durch eine persönliche Krise seinen Job als Polizeikommissar aufgegeben hat, zwangsweise in seinen Heimatort Sines reisen muss, wird er in einen Mordfall verwickelt, der ihn nicht mehr loslässt. Nach und nach kommen Dinge ans Tageslicht, die ihren Ursprung in einem dunklen Kapitel portugiesischer Geschichte haben. 

Mein Leseerlebnis

Der Krimi ist leicht und fließend zu lesen. Die Erzählperspektive ist die eines personalen Erzählers, sodass die Leser*innen das Geschehen wie bei einem Fernsehfilm verfolgen. Dialoge dominieren den Text, was zum Kennenlernen der Figuren und für den Spannungsaufbau des Mordfalls unerlässlich ist. Sie sind stimmig gestaltet und transportieren die Emotionen der Personen sehr gut. 

Die Charaktere sind solide ausgestaltet und bieten Potential zur Weiterentwicklung in Folgebänden. Auch wenn einige Beweggründe von Nebenpersonen für mich nicht immer glaubwürdig oder nachvollziehbar waren, sind sie liebenswürdig und wirken an vielen Stellen typisch portugiesisch. 

Die Hauptperson, Nuno Cabral, hat mich von Beginn an fasziniert und mitgezogen. Er ist ein “harter Hund” und zugleich ein brillanter Ermittler. Er verfolgt die Spuren akribisch, hat den richtigen Riecher bei Zeugen und Verdächtigen und schreckt vor nichts zurück - weder vor nächtelangen Recherchen noch dem Einsatz von Gewalt oder seiner Gesundheit. Wenn er sich festgebissen hat, stoppt ihn nichts mehr. Privat ist Cabral allerdings ein Wrack. Er hat schwere Verluste hinnehmen müssen, die ihn psychisch belasten. Seine aktuelle Arbeits- und Haltlosigkeit haben ihn bis zur Grenze des Alkoholismus und der Selbstaufgabe geführt. Diese Mischung aus gutem Spürsinn und fehlender Eigenverantwortung birgt Sprengstoff und sorgt an vielen Stellen des Romans für Hochspannung. Denn, wer sich nicht vor Konsequenzen fürchtet, ist bereit sehr weit zu gehen... Ein Sympathikus ist Cabral auf gar keinen Fall und dennoch fällt es schwer, sich nicht von ihm mitreißen zu lassen und zum Komplizen zu werden. 

Begeistert bin ich außerdem vom Kontext des Mordes, der historische Bezüge zur Zeit der Diktatur im Estado Novo und der damaligen Kolonialpolitik in den Mittelpunkt stellt. Hier werden einige dunkle Seiten in der Geschichte Portugals berührt, die für mich, als Portugalfan, noch unbekannt waren und die für viele Familien bis in die Gegenwart prägend sein werden. Auch wenn der Mordfall durchaus Dramatik bietet und die geschichtlichen Ereignisse grausam sind, ist der Roman bei weitem kein Thriller. Wer mit “Mord und Totschlag” im sonntäglichen Tatort gut zurechtkommt, den kann auch dieser Krimi nicht schocken. 

Claudia Santana versteht es nebenbei, die Leser*innen ganz charmant und unaufdringlich mit der portugiesischen Lebensart in Berührung zu bringen. Insbesondere Szenen in der Kneipe oder beim Essen erzählen von typischen Speisen, Leckereien oder Getränken. Auch die Liebe der Portugiesen zum Fußball fehlt nicht. Ein weiterer Wohlfühlfaktor ist das, mit Liebe und einem Augenzwinkern beschriebene, Leben in einer provinziellen Kleinstadt, in der jeder jeden kennt und nichts verborgen bleibt. Immer wieder werden Landschaften, Orte und Plätze in und um Sines beschrieben und machen Lust auf einen Urlaub an der Küste, fernab vom Touristenrummel.  

Gestaltung 

Das Cover des Buches lädt definitiv zu einem Fernweh-Krimi ein. Im Zentrum steht das Foto einer weißgetünchten, typisch portugiesischen, Kirche über der ein azurblauer Himmel mit ein paar Schleierwolken prangt. Sie ist Teil des Castelo de Sines, einer mittelalterlichen Befestigungsanlage und Wahrzeichen der Stadt. Da diese allerdings keine Erwähnung im Roman findet, bleibt dieser direkte Bezug für die Leser*innen unklar. Im Hintergrund dieses Fotos sind Azulejos zu erahnen, die typischen bemalten Kacheln aus Portugal.  Praktisch, stimmig und für mich unverzichtbar in Fernwehliteratur ist auch der abgedruckte Kartenabschnitt von Sines und der direkten Umgebung auf den ersten Seiten des Buches. 

Fazit ⭐⭐⭐⭐ 

DER TOTE VON SINES ist ein gelungener Auftakt zu einer neuen Portugal-Krimireihe mit einem harten Ermittler, der bereit ist, aufs Ganze zu gehen. Außerdem überzeugt der Kriminalfall mit gut recherchierten geschichtlichen und menschlichen Abgründen aus der Zeit der Diktatur.