Rezension

Der Schucker von New York

Die Entführung der Delia Wright - Lyndsay Faye

Die Entführung der Delia Wright
von Lyndsay Faye

Bewertet mit 5 Sternen

Fast ein Jahr hat es gedauert, bis die nächsten Abenteuer von Timothy Wilde, dem Kupfersternträger der ersten Stunde, weitergehen und was soll ich sagen: Das fast fiebrige Warten hat sich gelohnt. Es gibt im Moment meiner Meinung nach niemanden, der Lindsay Faye im Bereich des historischen Kriminalromans das Wasser auch nur annähernd reichen könnte. Wieder denkt sie nicht daran, einfach ein Buch zu schreiben, nein: Sie nimmt uns mit, reißt uns durch die Zeit, wirft uns in das Gotham City der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - New York. Bevölkert von hunderttausenden Armen, dazu kommen die verhungernden irischen Auswanderer, schwarze Sklaven, machtgierige Politikern, korrupte Polizisten, mörderische Bordellbesitzerinnen, hasserfüllte Sklavenjäger, Feuerwehrschlägertruppen und mittendrin Timothy Wilde, der Sonderermittler von Matsell, dem obersten Polizeichef der Stadt.

Dieses Mal bekommt er es mit skrupellosen Sklavenjägern zu tun. Als eines Nachts eine wunderschöne Frau auf der Schwelle seines Kabuffs in den Tombs steht und ihn bittet, ihre entführte Schwester und ihren Sohn zu retten, kann er nicht ahnen, welche Katastrophen es nicht nur für ihn bedeuten werden. Lucy Adams, so stellt sich die Frau vor, sieht fast aus wie eine weiße Frau. Aber eben nur fast. Aus diesem Grund hat sie keine Rechte - jeder Sklavenjäger darf behaupten, sie wäre eine entflohene Sklavin aus dem Süden und darf sie entführen. Genau das ist ihrer Schwester und ihrem Sohn passiert, und sie fleht Timothy an, ihr zu helfen. Der Kupfersternträger gerät in einen Strudel unvorstellbarer Gewalt. Nicht nur, dass mehrere seiner schwarzen Freunde gequält und missbraucht werden, auch er gerät immer wieder in die Hände brutaler Schläger - erschreckenderweise sind viele Polizisten darunter. Gierig, skrupellos, nahezu geschützt vom Gesetz gehen diese Menschen gegen jeden vor, der sich ihnen in den Weg stellt. Und Timothy hat so wenige Freunde, die überhaupt in der Lage und Willens sind, sich diesen Machenschaften in den Weg zu stellen, so dass sein Leben schließlich genauso wenig wert ist wie das der schwarzen Bevölkerung.

Was habe ich wieder mitgelitten! Die Autorin hat die große Begabung, Menschen zu kreieren, die so authentisch sind, dass man sich geradezu unter ihnen wähnt. Man kann sie direkt aus den Augenwinkeln neben sich entdecken, erkennt ihre Schwächen und Stärken, beobachtet, wie sie nach Geld, Macht, Überleben streben. Man verliebt sich gnadenlos in die "Guten", weil die bei all ihren Fehlern immer versuchen, das Richtige zu tun, man hasst die Antagonisten, die aber auch nicht Schwarz-Weiß gezeichnet werden, sondern bei aller Boshaftigkeit immer ihre Gründe und Ziele haben. Faye lässt ein enges Band zu den Protagonisten entstehen, um es irgendwann auf grausame Art zu durchtrennen und Tränen in die Augen des Lesers zu treiben. Nicht, wegen des Herzschmerzes an sich, sondern weil diese kalte Grausamkeit ein Teil des Lebens war und wahrscheinlich auch noch ist. Nie habe ich tieferen Einblick in die Sklavenzeit erhalten als in diesem Krimi, selten zuvor habe ich so geflucht, gelacht, geliebt, gehasst.

Fazit: Eine der besten Reihen historischer Krimis, die ich kenne, und ich kann es kaum erwarten, den dritten Teil in den Händen zu halten.

Kommentare

Janine2610 kommentierte am 11. März 2015 um 12:59

Du kannst das Buch wirklich sehr gut beschreiben! Ich gehe in allen Punkten mit dir mit. Obwohl mir noch fast 40 Seiten fehlen, weiß ich dennoch schon, dass das Buch von mir ebenso mit 5 Sternen bewertet wird.

Die Autorin schreibt fantastisch, auf eine Art Humor, den ich einfach liebe. Z. B. hier, als Silkie Marsh auf der Partei-Fete auf Timothy trifft: "Mr. Wilde! Ich traue meinen Augen kaum. So elegant, und das zu Ehren der Partei. Ich glaube fast, wir beide werden eines Tages doch noch Freunde."
Ich nahm das Glas, das sie mir hinhielt. Ihre monströse Prophezeiung ließ ich unkommentiert.
- Köstlich, nicht? ;D

Und mir gefällt es irgendwie von dem Geplänkel zwischen Timothy und Valentine zu lesen. - Von zwei Brüdern, die sich lieben, aber gleichzeitig am liebsten den Kopf einschlagen würden.^^

Genauso wie du freue ich mich wegen all dem schon riesig auf die Erscheinung von Band 3 - die aber leider Gottes noch so fern liegt.

Lieben Gruß ♥