Rezension

Der Styx von Wien

Das Mädchen und der Totengräber -

Das Mädchen und der Totengräber
von Oliver Pötzsch

Leopold von Herzfeldt muss sich auf seiner Dienststelle immer noch gegen die Anfeindungen seiner Kollegen wehren, die ihn hassen, weil er jung ist und mit modernen Methoden arbeitet und, weil er Jude ist. Auch sein Vorgesetzter ist nicht immer gegen Vorurteile gefeit, aber er traut ihm einiges zu und betraut ihn mit der Aufklärung eines sehr ungewöhnlich Falls – im Kunsthistorischen Museum wird die mumifizierte Leiche von Professor Alfons Strössner gefunden, der angeblich seit 3 Monaten auf Ausgrabungen in Ägypten weilt. Strössner war vor Jahren auf einer Expedition, deren Mitglieder inzwischen fast alle gestorben sind – sind sie dem Fluch einer Mumie erlegen?! Man wünscht sich Diskretion und keinerlei Aufsehen oder gar eine Pressemeldung. Da Leo so unauffällig wie möglich ermitteln soll, sucht er Hilfe bei Totengräber Augustin Rothmayer, der sich schon von Berufs wegen mit Mumien auskennt und gerade ein Buch über die Totenkulte verschiedener Völker schreibt. Auch Leos heimliche Freundin, die Tatortfotografin Julia Wolf, hilft ihm bei seinen Nachforschungen.

Doch noch ein anderer Fall beschäftigt Wien. Immer wieder tauchen verstümmelte Leichen junger Männer in verschiedenen Stadtteilen auf. Sie alle scheinen Stricher gewesen zu sein und nach ihrem Tod fehlt ihnen etwas Entscheidendes: „Gegen das hier wäre Jack the Ripper nicht mehr als ein blutiger Witz.“ (S. 294) Der Täter wurde bereits zwei- oder dreimal gesehen, verschwand immer aber urplötzlich – geht ein mordendes Phantom um in Wien?!

 

„Das Mädchen und der Totengräber“ ist bereits der zweite Fall der Reihe mit Leo, Julia und Totengräber Rothmayer und hoffentlich noch lange nicht der letzte. Oliver Pötzsch hat mit ihnen sehr eigenwillige, unangepasste und unverwechselbare Protagonisten geschaffen, die es in ihrem Leben nicht leicht haben.

Leo kann seine gute Kinderstube und das reiche Elternhaus nicht ablegen, man sieht sie ihm schon von weitem an und nicht wenige halten ihn darum eher für einen Dandy oder Schnösel, als einen Inspektor. Dabei ist er sehr gut in seiner Arbeit, ihm fallen logische Fehler und andere Ungereimtheiten sofort ins Auge. Dann beißt er sich daran fest und gibt nicht auf, bis er wirklich alles aufgedeckt hat – sehr zum Leidwesen seiner vorgesetzten. Er setzt auf die neuesten Ermittlungsmethoden wie Tatortfotografie, Fingerabdrücke (ein Trick, um den Täter zu überlisten) und Stadtpläne, auf denen er die Tatorte kennzeichnet um den Täter einzukreisen und näher kennenzulernen, zudem versuchte er ein Psychogramm von ihm zu erstellen. Doch je mehr er sich in seine aktuellen Fälle stürzt, um so mehr vernachlässigt er Julia …

Julia ist etwas halbseiden und geheimnisvoll. Sie lebt mit ihrer unehelichen Tochter im Bordell und macht die Arbeit als Tatortfotografin nur, weil Leo sie ihr versorgt hat und sie das Geld braucht. Dabei gehen ihr die Leichen, die sie fotografieren muss, sehr zu Herzen. Sie ist neugierig und hat ein Auge für Details, entdeckt, wenn etwas auf einem Foto bzw. am Tatort nicht stimmt und ermittelt dann auf eigene Faust. Sie liebt Leo, aber die Unterschiede zwischen ihnen scheinen immer größer und unüberwindbarer zu werden. Er versucht sie in seine Welt zu ziehen, geht nicht auf ihre Wünsche und Vorstellungen ein. Ist ihre Liebe zum Scheitern verurteilt?

Rothmayer ist ein echter Kauz, der seine ganze Familie verloren hat und seit einiger Zeit ein Mädchen bei sich auf dem Friedhof wohnen und arbeiten lässt, das ihn an seine Tochter erinnert. Allerdings ist das Jugendamt dagegen und Rothmayer hat so seinen ganz eigenen Methoden, sich die ungeliebten Besucher vom Hals zu halten …

 

Oliver Pötzsch hat wieder einen extrem spannenden Fall konstruiert – eigentlich sind es sogar zwei – auf deren Auflösungen ich nie gekommen wäre.

Der Fall mit der Mumie zieht Kreise bis nach ganz oben, selbst Erzherzog Ferdinand scheint involviert zu sein, und Leo muss sich auf großem Parkett beweisen.

Für die Morde an den Strichern hingegen muss er in der Wiener Unterwelt (Kanalisation) hinabsteigen und auch dafür ist er sich nicht zu schade. „Hier wird alles angespült, das Schöne und das Hässliche, das Leben und der Tod. Aber in letzter Zeit, so seit vielleicht einem Jahr …“ (S. 356)

 

Geschickt integriert der Autor historische Details wie die Völkerschau im Wiener Tiergarten, gegen die vor allem Julia rebelliert. Sie kämpft dagegen an, dass afrikanische Ureinwohner wie wilde Tiere gehalten und ausgestellt werden.

 

Für mich ist dieser Krimi rundum gelungen! Ich bin schon sehr gespannt auf den Nächsten Fall des dynamischen Trios.