Rezension

Der "Thriller" lebt eher von Verwirrung denn von Spannung...

Geiger
von Gustaf Skördeman

Bewertet mit 2 Sternen

Wenig überzeugender Spionagethriller mit wildem Themenmix, unsympathischen und blassen Charakteren, Verwirrung statt Spannung - schade...

Das Festnetz-Telefon klingelt, als sie am Fenster steht und ihren Enkelkindern zum Abschied winkt. Agneta hebt den Hörer ab. "Geiger", sagt jemand und legt auf. Agneta weiß, was das bedeutet. Sie geht zu dem Versteck, entnimmt eine Waffe mit Schalldämpfer und tritt an ihren Mann heran, der im Wohnzimmer sitzt und Musik hört. Sie setzt den Lauf an seine Schläfe - und drückt ab. Als Kommissarin Sara Nowak von diesem kaltblütigen Mord hört, ist sie alarmiert. Sie kennt die Familie seit ihrer Kindheit...

496 Seiten liegen hinter mir – jedoch leider kein Leseerlebnis mit der erhofften Spannung und dem erwarteten Thrill, sondern eine langatmige Spionagestory voller blasser Charaktere und einem bunten Themenmix. Noch dazu der Auftakt einer ganzen Trilogie, die ich aber wohl nicht weiter verfolgen werde...

Anfangs erhält der Leser / die Leserin einen kurzen Einblick in die heile Welt einer gutsituierten schwedischen Familie, die Großeltern haben gerade ihre Kinder und Enkel verabschiedet, da verändert ein Telefonanruf alles. Ein einzelnes Wort sorgt dafür, dass die Großmutter eine versteckte Pistole holt und den über 80jährigen Großvater erschießt. Dieser Einstieg, den ich in der Leseprobe entdeckte, hat mich neugierig werden lassen. Aber ach. Dann die Überraschung: Spionagethriller, Kalter Krieg, DDR, Stasi-Aktivitäten, Russland, KGB… Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.

Nun ist es nicht so, als hätte ich noch nie einen Spionagethriller gelesen – es ist nur nicht mein bevorzugtes Thriller-Genre. Nach der ersten Überraschung dachte ich: ist eben so – und las weiter. Aber rasch schon passte für mich einiges nicht zusammen. Agneta – die schießwütige Großmutter – flieht nach dem Mord an ihrem Mann. Die alte Dame ist zwar etwas jünger als ihr nun toter Mann Stellan Broman, aber was sie plötzlich trotz ihres fortgeschrittenen Alters, ihres täglichen Medikamentencocktails und ihrer allgemein geringen Kondition zu leisten vermag – na. Es gibt bei der Aufgabe kein Pensionsalter, steht irgendwo, aber abgelaufene Pässe, ungültiges Bargeld, ein plattes Fahrrad und ein lange verstecktes Auto – nun ein Oldtimer - als „Fluchtwagen“ - das hat doch eher etwas von Slapstick denn von Agententhriller...

Im Laufe des Thrillers wird zunehmend Einblick gewährt in das durchaus abwechslungsreiche Leben von Agneta, aber alles ist dermaßen klischeehaft gezeichnet, dass ich dachte: och nee, das nicht auch noch. Mehr Einblick noch erhält der Leser / die Leserin in das Leben und Tun von Kommissarin Sara Nowak, die offiziell gar nicht mit dem Mordfall an Stellan Broman betraut ist, die Ermittlungen jedoch im Hintergrund – und meist auf eigene Faust – unterstützt, weil sie den berühmten ehemaligen TV-Moderator als Kind persönlich kannte. Das eigentliche Ressort, in dem Sara ermittelt, ist das des Kampfes gegen die Prostitution. Hier habe ich etwas gelernt über die spezifische schwedische Gesetzeslage, wodurch Prostitution strafbar ist, die käuflichen Mädchen und Frauen jedoch nicht bestraft werden, sondern die Freier. Was bedeutet, dass diese inflagranti erwischt werden müssen, was wohl nicht nur anstrengend klingt, sondern oft auch müßig ist.

Dementsprechend frustriert und zunehmend aggressiv verhält sich Sara. Es kommt durchaus vor, dass sie die Freier tätlich angeht und ihnen auch sonst abseits des vorgeschriebenen Vorgehens das Leben schwer zu machen versucht.

 

„Sie verstand durchaus das Argument, dass Polizisten sich nicht als Richter betätigen und Verbrecher nach persönlichen Maßstäben bestrafen sollten, aber was konnte verkehrt daran sein, dass man irgendwie zu helfen versuchte?“ (S. 198)

 

Abgesehen davon, dass sie durch ihre aggressive, kompromisslose und sture Art nicht nur ihren Kollegen David und ihre Vorgesetzten verärgert und damit ihren Job gefährdet, wirkt Sara auch in ihrem privaten und familiären Bereich nicht sonderlich sympathisch. Und obschon dem Einblick in das Leben der Kommissarin hier viel Raum gegeben wird, bleibt dieser Hauptcharakter ebenso blass und schablonenhaft wie alle anderen.

Auf den Inhalt möchte ich nicht weiter eingehen, aber das Ganze ist viel zu verworren, es gibt so viele Beteiligte, derart viele politische Stränge, dass ich irgendwann nicht mehr durchblickte. Sicherlich gab es hier einige interessante historische (internationale) politische Einblicke, aber die Zusammenhänge waren derart verzweigt, dass ich letztlich den Überblick verlor. Hier ist zudem durchgehend nichts so wie es zunächst scheint, ständig gibt es einen Richtungswechsel, und es scheint, als lebe der Thriller eher von Verwirrung denn von Spannung

Ich habe beim Lesen zudem zunehmend den Eindruck gewonnen, dass der Autor eine Checkliste erstellt hat, welche Aspekte einen Thriller spannend machen könnten. Und statt einen oder zwei davon auszuwählen, hat er gleich die ganze Sammlung genommen, weil: viel hilft viel. Oder so. Alles in allem ein eher ermüdender Mix: Kalter Krieg, Spionage und Gegenspionage, Terrorismus, Gesellschaftskritik, Erpressung, Selbstjustiz, sexuelle Ausbeutung, Prostitution, Pädophilie, Kinderpornografie, dazu an jeder Ecke eine Anhäufung von Markennamen (wieso?!), und zu allem Überfluss noch eine Polizei, die im Allgemeinen nicht durchblickt und selbst Hinweise, die wild mit der weißen Fahne wedeln, gepflegt übersieht... Dieser Dilettantismus ist in meinen Augen ebenfalls alles andere als glaubwürdig.

Der Eindruck von „unglaubwürdig“ zog sich leider durch den gesamten Thriller. Immer wieder stieß ich hier auf Szenen, bei denen ich nur mit dem Kopf schütteln konnte – bis hin zum Showdown. Was alternde Spion:innen und schwerverletzte Personen zu bewerkstelligen vermögen, finde ich definitiv mehr als erstaunlich. Womöglich sind diese in meinen Augen arg übertrieben wirkenden Szenen auf den eigentlichen Beruf des Autors als Drehbuchschreiber, Regisseur und Filmproduzent zurückzuführen?

Enttäuscht hat mich am Ende auch noch, dass sich wesentliche Fragezeichen nicht aufgelöst haben. Ich mag es nicht, wenn - Trilogie hin oder her - am Schluss so viele lose Enden bleiben. Der eigentliche Fall muss abgeschlossen sein, Nebenthemen dürfen sich gerne durchziehen. Das Debüt von Gustaf Skördeman hat mich also leider auf ganzer Linie nicht überzeugen können. Auf eine Fortsetzung werde ich hier also verzichten. Schade…

 

© Parden