Rezension

Der Titel ist eine Lüge. Meisterwek!

Ein einfaches Leben - Min Jin Lee

Ein einfaches Leben
von Min Jin Lee

Worum es geht: 
Sunja wächst behütet in einem kleinen Dorf nahe Busan als Tochter einer Pensionsinhaberin auf. Anfang der dreiziger Jahre als Teenager verliebt sie sich zu ihrem Fehler in einen verheirateten Mann und wird schwanger. Ihre einzige Hoffnung ist der Junge Pastor Isak Beak, ebenfalls Koreaner, auf dem Weg nach Osaka. Er bietet ihr die Ehe und damit Sicherheit und einen Namen für ihr ungeborenes Kind an. Dafür soll sie mit nach Japan, ein ihr unbekanntes Land, und ebenfalls einen ihr unbekannten Gott glauben. Während Japan Korea weiterhin unterdrückt und Sunja in Osaka nur Fremdenhass wiederfährt, versucht sie das Beste aus ihrer Situation und für ihre Familie zu machen um zu überleben und vielleicht ein wenig Glück zu finden. Aber wie Yangjin ja schon meinte: Die Aufgabe der Frauen ist es zu leiden...
"Für jedes Schiff voller Idioten, die nach Korea zurückwollen, kommen hier zwei Schiffe mit Flüchtlingen an, weil es da nichts zu essen gibt. Die Lage der Leute, die direkt aus Korea kommen, ist noch verzweifelter als Ihre hier. Sie arbeiten für hartes Brot. Frauen prostituieren sich nach zwei Tagen Hunger oder schon nach einem, wenn sie Kinder zu ernähren haben. Sie träumen von einer Heimat die es nicht mehr gibt." 
Meine Meinung: 
Pachinko, wie das Buch auf English heisst und das japanische Wort für Glücksspielautomaten ist, hat in der englischen Version schon für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt. Nominiert für den Nation Book Award hat das Epos Jin Lee's ebenfalls den "Goodsreads Best Fiction 2017" Preis gewonnen. 
Bereits 1989 hatte die Autorin die erste Idee zu Pachinko, eine Geschichte die sich auf fast 100 Jahre erstrecken sollte. Beginnen wir mit der Reise Sunja's, die 1920 ungewollt Schwanger wird und von Südkorea nach Osaka zieht, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Bis 1989 begleitet der Leser Sunjas Geschichte, mal mehr mals weniger, bis zu ihrem Enkel Solomon. Krieg, Unterdrückung, Armut, Rassismus... Während Sunjas Familie immer nur das eine versucht, dazuzugehören, wird doch immer deutlich, dass sie als Zainichi ungewollte Bürger zweiter Klasse sind. Als nicht Japaner gehört man einfach nicht dazu, egal die wievielte Generation man ist, die in dem Land geboren und aufgewachsen ist. Ab dem 14. Geburtstag muss jeder Zainichi alle 3 Jahre eine neue Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Ein Leben mit der ständigen Angst deportiert zu werden. Eine Angst die in jedem Kapitel, jeder Handlung zur Geltung kommt. So wie bei den Pachinkomaschinen rumgetrickst wird, wird auch immer im Leben der Koreaner rumgetrickst, um sicherzustellen, dass man einfach nicht gewinnen kann.
"Es stimmte zwar, dass die meisten Menschen in dem Lokal hofften, an den Maschinen kleine Summen zu gewinnen, aber die Spieler kamen auch, um der unheimlichen Stille auf den Strassen zu entkommen, wo kaum jemand grüsste, oder um dem lieblosen Zuhause fernzubleiben, wo Mütter bei den Kindern schliefen statt mit ihrem Mann, oder um die überheizten Pendlerzüge zu vermeiden, wo es gebilligt wurde, dass Wildfremde einander anrempeln, nicht aber, dass sie ein Gespräch miteinander anfingen." 
Was das Buch so reich macht, sind ausserdem die springenden Persektiven innerhalb der Familie. Sowie eine Figur an Bedeutung gewinnt oder eingeführt wird, bekommt der Leser exklusive Einblicke in dessen Leben. Begonnen mit Sunja, durch und durch Koreanerin die nie ein anderes Land oder Sprache gekannt hat. Ihre angeheiratete Familie, die sich ein Leben in Osaka aufgebaut haben. Übergang auf die Kinder, welche nur noch gebrochen koreanisch können, dafür fliessend Japanisch und sich trotz Mobbing in der Schule einordnen wollen. Vor allem Noa, Sunja's Sohn tut sich schwer mit der Ausgrenzung. Selbst mit der Verleumdung seiner Herkunft und Gründung einer Familie schafft er es nie sein Glück zu finden. Schlussendlich Solomon, Sunja's Enkel. Geboren und Aufgewachsen in Japan, Schüler an den besten und teuersten Schule, erlebt bis zum Ende den Rassismus, wobei jemand kaum mehr integriert sein könnte. 
Neben dem Druck von Aussen müssen die Protagonisten allerdings auch mit Scham und Schuld leben. Meistens ist es der Stolz, der sie daran hindert ihr Leben zu verbessern, festgefahren in ihrer Kultur und einer bestimmten Art zu denken. Statt Hilfe anzunehmen, wird sich lieber fast zu Tode gehungert, weil der Mann ja nicht als Unfähig dastehen darf. Die grosse Angst vor "Was werden die Leute sagen" lebt in jeder Figur und hat mich so manches Mal aufgeregt. Hier wird man in eine Kultur und dessen Gebräuche eingeführt, die so ganz anders sind, als das was man kennt, dass Verständnis manchmal schwer fällt. 
Ich wage mich vor und behaupte, dass "Ein einfaches Leben" ( Der Titel ist eine Lüge! ) das beste Buch ist, das ich dieses Jahr gelesen habe. Für mich wurde hier wirklich alles vereint. Familiendrama, Japan, Geschichte, tolle Figuren. Man leidet mit. Einziger kleiner Kritikpunkt meinerseits: Mir hat mal wieder das Knistern gefehlt. Mehrere Liebesgeschichten und es las sich teilweise recht faktisch und wird meistens nur oberflächlich gestreift... Einzig Kim mit seiner Liebe zu Kyunghee hat mich für sich gewonnen. Dennoch ist "Ein einfaches Leben" ein Page Turner par excellence!
"Jeden Morgen manipulierten Mozasu und seine Angestellten die Maschinen, um die Ausschüttungen zu reduzieren - wenige Gewinner und viele Verlierer, das war die Regel. Etsuko hatte in einem wesentlichen Punkt versagt - sie hatte ihren Kindern nicht beigebracht, zu hoffen und an die vielleicht absurde Möglichkeit zu glauben, dass sie gewinnen könnten. Pachinko war ein dummes Spiel, das Leben aber nicht."